Unsere Kindheit war angefüllt mit zahllosen Rhythmisierungen, Reimspielen und Wiederholungen: «Hoppe, Hoppe, Reiter, wenn er fällt, dann schreit er …», «Hänschen klein, ging allein …». Über Doppelungen, Reime und Alliterationen (gleichlautende Silbenanfänge) erlernten wir im Brabbelalter jene Silben und Vokale, die irgendwann auch die Dinge benennen: »Wauwau«, »Mama«, »Pipi«, »AA«, »Ei, ei«, »guckguck«.
Alle Lütten murmeln solche Silben selbstvergessen vor sich hin, auch dann, wenn weit und breit kein Zuhörer zu finden ist. Das Repetieren gleicher An- und Endlaute wie auch wiederkehrender rhythmischer Strukturen ist mit einem tiefen Gefühl des Wohlbehagens verbunden: Menschen lernen sprechen, weil ihnen der Vorgang des Sprechens angenehm ist. Das wiederum ist der Fall, sobald bestimmte "musikalische Formen" vorliegen. Da aber alles Lesen immer "ein inneres Sich-Vorsprechen" ist, gelten diese Lautgesetze auch dann, wenn Texte nicht laut gesprochen werden.
Später, als wir selbst lesen konnten, kam die Märchenzeit, die sich auch mit zahllosen musikalischen Formeln in unser Gehirn einbrannte: «Oh Fallada, der du hangest, oh Fallada, der du bangest …», «Timpe Timpe Timpe Tee, Fischlein, Fischlein, in der See …», «Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden …».
Was dieser Ausflug in die Sprachentwicklung mit uns Erwachsenen zu tun hat, die wir doch solch Wortgeklingel gar nicht mehr nötig haben? – Gegenfrage: Warum tragen im Fernsehen zahllose Sendungen, die auf "Quote" schielen, "alliterate" Titel, die mit dem gleichen Anlaut beginnen? »Bios Bahnhof«, »Titel Thesen Temperamente«, »Der Siebte Sinn«, »Tagesthemen«, »Kennen Sie Kino«, »Sterns Stunde« usw.? Warum reden wir selbst unwillkürlich in Doppelungen am Beginn oder am Ende unserer Worte: »ohne Rast und Ruh«, »mit Sack und Pack«, »Herr und Hund«, »Schimpf und Schande«, »Eile mit Weile«, »mehr Schein als Sein«, »dumm und dämlich«?
Auch unter Erwachsenen sind es musikalische Resonanzen, die uns sprachliche Formeln als angenehm und zugleich als einprägsam erleben lassen. Anders gewendet: Sobald wir – neben allem Inhalt und aller argumentativen Sinngebung unseres Textes – ihn musikalisch und klanglich malerisch gestalten, dürfen wir hoffen, für unser Interesse mehr Aufmerksamkeit, mehr Wohlwollen und mehr Erinnerung an das Gesagte zu finden.
Uninteressant? Finde ich nicht ..
Finde ich auch interssant. Die in der Kindheit erlernten Sprachrythmen können für Erwachsene aber auch ein spielerisches Mittel sein, Dinge zu äußern, die sie sonst nicht aussprechen würden. Das mit der Aufmerksamkeit stimmt in jeder Beziehung. War mir Neu.
Noch farbiger wird die Sachlage, wenn wir uns bewusst machen, dass viele dieser Sprachspiele auch verfremdet werden, der Tonfall bleibt erhalten, der Sinn verkehrt sich – wie bspw. beim beliebten Uhu-Slogan: «Im Falle eines Falles ist richtig fallen alles», «Im Falles eines Falles, klebt Uhu auch den Phallus», «Im Falle des Durchfalles ist Tempo wirklich alles» usw.
Da ist Musik drin! Oder: Was Du tust, das tue ganz, denn die Halbheit hat kein Glanz.