Unselbstständig oder bevormundet?

So eine Führungskraft eines großen deutschen Anlagenbauers. "Egal, um was es sich handelt, sie kommen mit jeder kleinen Entscheidung zu mir!" beklagte er sich bei mir über die Unfähigkeit seiner Mitarbeiter, Entscheidungen zu fällen. "Dabei habe ich ihnen gleich am Anfang gesagt, dass sie im Rahmen Ihrer Kompetenzen selbst und frei entscheiden und handeln können und sollen!", so der genervte Chef weiter.

"Können Sie mir als Psychologe sagen, was ich falsch mache?!". Er war sichtlich mit seinem Latein am Ende.

In diesem Falle konnte ich ihm tatsächlich sagen, was er falsch machte, ohne es überhaupt zu merken. Ich forschte nach, wie denn z.B. Delegationsgespräche in seiner Praxis tatsächlich aussahen und ließ mir dafür zahlreiche Beispiele geben, ebenso für Kontroll- und andere Gespräche.

Es stellte sich heraus, dass er selbst mehr oder weniger der Grund für die Unselbständigkeit seiner hervorragend qualifizierter Mitarbeiter war!

Er und seine Mitarbeiter waren allesamt Opfer einer "Double-Bind-Botschaft" geworden. Double-Bind-Botschaften stellen eine Art und Weise zu kommunizieren dar, dass es dem Empfänger von Anweisungen oder Wünschen einfach nicht möglich werden lässt, es dem Sender dieser Botschaften (in diesem Falle dem eigenen Chef) Recht zu machen.

Etwa nach folgendem Muster gab er seinen Mitarbeitern die Anweisung, "selbstständig" zu handeln: "Lieber Herr Mitarbeiter, Sie sind gut ausgebildet, Sie haben jahrelange Erfahrungen mit unseren Aufgaben. Sie sehen ja meinen Schreibtisch: Ich weiß ja gar nicht, wo mir der Kopf steht! Ich kann nicht jede Kleinigkeit für Sie beurteilen oder entscheiden! Dafür bezahle ich Sie doch! Ich habe doch volles Vertrauen in Sie! Sie dürfen, ja, sie sollen doch selbstständig entscheiden und handeln. Das einzige, was ich von Ihnen möchte, ist doch: "Fragen Sie mich vorher!"

Nachdem ich ihm deutlich gemacht hatte, was das bedeutete, fasste er sich mit Recht selbst an den Kopf. Er hatte es weder bemerkt noch gewollt. Aber er hatte selbst dazu beigetragen, dass seine Mitarbeiter schließlich so verunsichert waren, dass sie schließlich so unselbständig waren, dass es ihn belasten musste. Er veränderte sein Verhalten und schon bald wurden seine Mitarbeiter wieder selbständiger.

Wenn Sie es nicht verstanden haben, lesen Sie den Text noch einmal, denn das Gemeine ist: im Alltag sind solche Botschaften gut getarnt und deshalb sind diese "Spielchen" schwer zu durchbrechen. Das hier war eben: "Machen Sie, was Sie wollen, aber fragen Sie mich vorher!"

Zum probieren noch ein paar ähnliche Fallen:

  • – Sie doch mal spontan!
  • – Sei doch unabhängiger von mir
  • – Mach doch endlich mal, was Du willst (aber nicht, weil ich das jetzt sage!)

Na, klingelst?

Aber warum "Doppelbindung"? Ganz einfach: "Doppelbindung", weil der Empfänger solch einer Aufforderung an zwei Aufforderungen gebunden ist. Die sich außerdem auch noch gegenseitig ausschließen. Eine logische Falle, die einem das Hirn gefrieren lässt. Die Folge: der solchermaßen zu zwei sich ausschließenden Handlungen aufgeforderte kann es dem Sender nicht Recht machen. Auch nicht, wenn er sich noch so anstrengen wollte! Stattdessen fängt er irgendwann an, sich in kleinsten Portionen Erlaubnisse für Detailfragen abzuholen. Immer im Bestreben nichts falsch zu machen. Schließlich denkt der Chef: "Wieso kann der nicht mal irgendetwas alleine tun?!" Teuflisch!

Viel Erfolg beim Auflösen solcher kommunikativer Knoten!!!

Ihr

Detlef Scheer

11 Meinungen

  1. Sehr geehrter Herr Scheer,ich war über 20 Jahre Vorgesetzter in der Personalentwicklung eines Unternehmens und bin jetzt selbständiger Personalberater.Die Situation, die sehr häufig vorkommt, haben Sie sehr gut und praxisnah beschrieben.Obwohl ich selbst viel über Führung weiß, sind mir obige und andere „Fehler“ selbst immer wieder im Alltagstrubel passiert.Durch solche Artikel wurde ich dann immer wieder „aufgeweckt“, mal in die Meta-Ebene zu gehen und zu sehen, was passiert da eigentlich, was tust Du so?.Hoffentlich hilft Ihr Artikel auch vielen anderen, mal inne zu halten.Weiterhin Alles GuteGerhard Grimm

  2. Lieber Herr Grimm!leider komme ich erst heute ins Netz! Danke fuer Ihren Beitrag!Viel Erfolg weiterhin und vielleicht sehen wir uns ja mal im Netz oder im richtigenn Leben!Schoenen Gruss, Detlef Scheer

  3. Wie hat es die beschriebene Führungskraft letztlich dann geschafft seinem Verhalten einhalt zu gebieten? Wie hat er seinen Führungsstil bzw. seine Kommunikation verändert?

  4. Heinz-Detlef Scheer

    Hallo Norbert !Erst einmal meine Bitte um Entschuldigung. Ich war mal wieder in einem „Tal der Ahnungslosen“ unterwegs. Ja, wie hat er es geschafft: Er ist nach einiger Diskussion mit mir über das Thema Feeedback, oder besser: gegenseitiges Feedback, was ich als das dauerndes Geben einer gegenseitigen „Gebrauchsanweisung“ auffasse, mit seinen Mitarbeitern in einen Prozess der freundlichen gegenseitigen Steuerung gekommen, der die double binds schließlich drastisch reduzierte. Es stellte sich kurioserweise raus, dass auch seine Mitarbeiter hier und da double binds benutzten, teilweise sogar kompatibel mit den seinen! Beispielsweise gaben sie Botschaften in seine Richtung ab nach dem Strickmuster: „Lassen Sie mich doch endlich in Ruhe arbeiten, ich kann das schon alleine! Ich will ja nur, dass Sie das kontrollieren, Chef! Es hatte schon beinahe etwas Tragikomisches. Deswegen konnte es auch so schnell aus der Welt geräumt werden!Ganz herzlichen Gruß,Ihr Detlef Scheer

  5. Lieber Herr Scheer, herzlichen Dank für Ihre Antwort auf meine Frage! Ihre Antwort hat mich auf eine weitere Frage gebracht: Welche Charaktereigenschaft ist es wohl, Ihrer Meinung nach, die letztlich dazu führt, daß man andere Menschen bevormundet? Ich finde dies ist ein sehr sehr spannender Blog-Beitrag, beschreibt er doch einen Zustand, wie er in unterschiedlichsten Mensch-zu-Mensch-Beziehungen auftreten kann und daher gut auf andere Situationen übertragen werden kann. Mit besten Grüßen, Norbert

  6. Tja, Norbert, spannende Frage: Wieso bevormundet der eine die andere? Eltern ihre Kinder, Lehrer ihre Schüler, Politiker den Bürger, Diktatoren ihre Schergen, Chefs ihre Mitarbeiter, Freunde ihre Freunde. Eheleute sich gegenseitig usw. usw. Sie haben recht! Man kann das übertragen auf viele, wenn nicht alle Situationen. Der größte gemeinsame Nenner ist in meinen subjektiven Augen: Unsicherheit, Angst, mangelndes Selbst-Bewußtsein, mangelnde Selbst-Sicherheit (bei Führungskräften häufig mangelndes Fachwissen bei gleichzeitiger Überzeugung: „Ich muss der beste Fachmann sein!“), gepaart mit daraus folgender und das Ganze verstärkender Kontrollsucht und gleichzeitig gepaart mit einem übersteigerten Machtanspruch anderen gegenüber. Häufig nur durch die Position begründet (Vorgesetzter, Elter, Lehrer, Älterer Bruder usw.) Man könnte auch sagen: Mangelnde Toleranz, mangelnde Akzeptanz wegen verschiedener Ängste, z.B. der Angst verlassen zu werden, zu vereinsamen. Tragischerweise bewirkt das ja oft das Gegenteil, nur sehr viel ruppiger und endgültiger. Irgendwann ertragen einen die Mitmenschen nicht mehr und wenden sich abrupt ab. Manchmal endet das ja auch durchaus mit Gewalttaten.Bei Kindern ist das teilweise verständlich, die Angst vor Verletzungen z.B. nachvollziehbar und u.U. überlebensnotwendig für die Kinder. Allerdings passiert hier ja auch oft das Gegenteil: Totale Unselbständigkeit der Kinder durch totale Angst der Eltern. Zu, Beispiel gibt es in Hamburg ein Projekt „Schenkt mir 100 Meter Schulweg“. Eine Aktion, die Eltern dazu bewegen soll, die Kinder vor lauter Angst (die teilweise nachvollziehbar ist) nicht bis ins Klassenzimmer zu fahren. So will man den Kindern wenigstens ein bißchen Selbständigkeit beim Annähern an die eigene Schule ermöglichen (!) Bei zwei Erwachsenen z.B., die sich auch noch angeblich lieben, wird es leicht kurios bis tragikomisch. Die gegenseitigen Erziehungsversuche von Ehepaaren, die sich über Jahrzehnte hinziehen können (Motto: der Appetit kommt beim Essen), landen wie auch die kürzeren Entwicklungen in einer Scheidung. Äußerlich oder innerlich, jedenfalls zwangsläufig. Die enthaltene Botschaft: „Du bist nicht o.k., sei anders, werde jetzt anders, weil ich das will!“ führt auf die Dauer zu Identitätsverlust, ist unerträglich und wird deswegen irgendwann zur Emanzipation führen. Bei Kindern über die Pubertät zur Selbstfindung und – erkenntnis, bei Erwachsenen auch. Nur bei Kindern finden wir das normal, bei Erwachsenen erleben wir das häufig als Katastrophe: „Nein, kannst du Dir das vorstellen?! Das war doch so ein schönes Paar!“Herzliche Grüße und einen schönen Sonntag wünscht: Detlef Scheer

  7. Ich lese oft Beitraege in denen von Rauchen und Alkoholmißbrauch gesprochen wird, was fuer Krankheiten das verursachen kann, wie gefaehrlich es ist, aber ich habe keinen oder zu wenige Beitraege gelesen, in denen man Tipps bekommt, was man anderen Menschen raten kann, wie sie lernen auf Zigarretten zu verzichten oder wo man eine Therapie gegen Alkohol machen kann, die natuerlich auch gute Ergebnisse bringt. Alles Gute!

  8. Ich weiss, dass die Kombination Zigaretten und Alkohol nicht gut ist und jetzt habe ich erfahren, dass diese schneller zur Alzheimer und Demenz fuehrensoll. Ihr koennt hier mehr ueber dieses Thema lesen. Gruss

  9. Man hat es wirklich hart, wenn in der Familie so ein Kasus existiert. Patrick ich fand deinen Kommentar echt Klasse!Du hast total Recht, mal sehen ob es jemand auch in Acht nimmt und etwas darueber macht. Gruss

  10. Ich glaube das Alkohol und rauchen alle Krankheiten beschleunigen!

  11. Ich bin der Meinung, dass Alkohol und Zigarettenkonsum nicht nur Alzheimer beschleunigen. Das ist eine einseitige Verallgemeinerung, die ich sicher nicht teile, denn Alkohol verursacht genauso schlechte Leberwerte, wie Zigaretten Kehlkopfkrebs etc. hervorrufen können. Zigaretten und Alkohol bewirken somit nicht nur Demenz, sondern sehr wohl auch andere schlimme Krankheiten.

    Außerdem sei an dieser Stelle angemerkt, dass es für Abhängige von Zigaretten und Alkohol sicher besser wäre, man würde Studien durchführen, wie sie leichter einen Entzug schaffen können, anstatt Forschungen durchzuführen, welche Krankheiten diese beiden „Faktoren“ auslösen. Betroffene brauchen meines Ermäßens nach Hilfe, von diesen Sachen loszukommen, als zu erfahren, welche Krankheiten auf sie zukommen können.

    Dies wär vielleicht ein kleiner Denkanstoß an die Wissenschaft.

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