Gonzo (zum Schluss)

Er war der beste Schriftsteller unter den Journalisten und der beste Journalist unter den Schriftstellern, die Amerika je hervorgebracht hat. Sagt man gemeinhin über ihn. Seine Wortgewalt spricht zumindest für sich, seine Sätze ähneln Gewehrschüssen. Er verstand sich als Reporter aus der Vorhölle, dem Schattenreich der US-Gesellschaft, der von dort berichtete, wo sich der amerikanische Traum in sein Gegenteil kehrt.

Er war ein Aufschneider. Ein Großmaul. Ein Wüterich, für den Leben und Schreiben eine unzertrennliche Einheit bildeten. Einer, der in seiner Produktivität zeitweise kaum zu bremsen war. Er war ein Kraftmeier, ein Waffennarr. Ein exzessiver Drogenkonsument, ein Trinker.

Er hasste Richard Nixon, er hasste George W. Bush. Gegen beide zog er vom Schreibtisch aus zu Felde, unerbittlich, voller Abscheu. Er war Sportreporter, Zeitgeistanalytiker, Sprachrohr der Hippie-Bewegung. Immer geradeheraus, selten „politisch korrekt". Von den Rechten wie Linken wurde er gleichermaßen geliebt wie gehasst.

Er war ein Anarcho-Rebell, ein engagierter Freak Power-Aktivist, der sich häufig in die Politik einmischte, der mitredete und mittat, zum Teil auch gezielt Kandidaten unterstützte (den Nixon-Kontrahenten George McGovern etwa).

Er war ein Egomane. Und ein falscher Doktor. Unzweifelhaft verfügte er aber über das, was von jedem aufrechten Journalisten erwartet wird: einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ein sicheres Gespür für die richtige Sache. Sein Leben, seine Schreibe, seine Ansichten, sein Übermut – zusammengenommen eine Beleidigung für jeden im professionellen Nachrichtengewerbe, eine Zumutung sondergleichen. Trotzdem war und ist er Vorbild für viele, die sich der schreibenden Zunft zurechnen. Und sein Einfluss wird bleiben, nicht nur auf die heutige, sondern auch auf zukünftige Generationen von „Schreibtischtätern."

Vom wem ist hier die Rede? Von Hunter S. Thompson natürlich, Dr. Hunter S. Thompson. Vor anderthalb Jahren, am 20. Februar 2005, nahm er sich 67-jährig das Leben, standesgemäß durch einen Kopfschuss. Zu so einem Leben außer Rand und Band, wie er es führte, gehörte einfach ein starker Abgang, ein selbstbestimmtes Ende, spektakulär. Ist schon klar.

Sein Tod löste ein großes Medienecho aus, vor allem in Deutschland, wo er viele Fans hatte. Ein Nachruf nach dem anderen erschien, Huldigungen allerorten: im Spiegel, der Zeit, der Süddeutschen, in der Spex. Selbst Harald Schmidt verneigte sich in seiner Show vor dem Großmeister, dem Erfinder des Gonzo-Stils, einer besonderen Spielart des literarischen Journalismus.

Ich horchte damals auf, wurde neugierig. Sein Name war mir bekannt, sein Werk weniger. Für mich stand sofort fest: mit dem Typen muss ich mich eingehender beschäftigen, vielleicht gibt es was zu lernen, vielleicht inspirieren mich seine Texte zu irgendetwas. Und in der Tat: Ich behaupte, dass ich ohne die gründliche Lektüre seiner Artikel, Reportagen, Geschichten und Romane nicht zum Bloggen gekommen wäre. Denn wenn der New Journalism in der Variante des Thompson'schen Gonzo-Stils irgendwo gepflegt wird, dann in der Blogosphäre, der Heimstätte stilistisch experimentierfreudiger Schreiber. Gonzo ist hier natürliche Attitüde, selbstverständliches Rüstzeug. Nirgendwo wird die Freiheit des Wortes, die ungehinderte Meinungsbildung, mehr geachtet als dort. Nirgendwo legt man mehr wert auf Authentizität und Glaubwürdigkeit. Nirgendwo knallt es mehr.

Zum Schluss (!) sollen die beiden Bücher empfohlen werden, über die ich mich seinerzeit zuerst hermachte: Kingdom of Fear und Hey Rube. Jetzt auch auf Deutsch erhältlich.

Kingdom of Fear (Königreich der Angst) liefert viel Autobiographisches. Wenn man so will, seine Memoiren, Erinnerungen, Berichte aus einen wild gewordenen Leben. Der Doc zeichnet die wichtigsten Stationen seiner beispiellosen „Karriere" nach, erzählt von Freund und Feind, von denen er nicht zu wenige hatte. Das Ganze gespickt mit reichlich Anekdoten, Randgeschichten und Textauszügen aus seinem Gesamtwerk. Dazu viel Bildmaterial. Also: das perfekte Buch zum Einstieg.

Hey Rube, das letzte noch zu Lebzeiten veröffentlichte Buch von ihm, versammelt Kolumnen, die auf dem Internet-Portal des US-amerikanischen Sportfernsehsenders ESPN zwischen November 2000 und Oktober 2003 erschienen sind. Diese Kommentare zur Lage der (Sport-)Nation sind Blog-Einträgen nicht unähnlich. Der Sport-Journalist betätigt sich als gewitzter Analytiker des Politischen und liberaler Scharfmacher. Die Kolumnen sind mehr oder weniger freie Assoziationen, ein luftig-lustiges Potpourri an Sport- und Politikthemen, gereifte Gonzo-Schreibe. Da geht es narrativ hin und her zwischen NFL, NBA, NHL, College-Basketball, biographischen Einschüben und Stellungnahmen zur sich verfinsternden Welt (11. September 2001, Terrorismus, die Verdummung und „Faschisierung" Amerikas). Zwischendurch haut er gern mal George W. Bush, dem „goofy child-President", verbal dermaßen ein paar in die Fresse, dass es die helle Freude ist. Einzelne Beiträge muten mitunter etwas ungeordnet und roh an. Immer aber sind sie witzig-sarkastisch, unter der Gürtellinie. Literarisch-journalistische Faustschläge, die nicht jeder auszuteilen wagt.

Möglicherweise erfährt der eine oder andere Blogger die Schriften des Doc ja als brauchbare Inspirationsquelle. Zu lernen gibt es viel. Und Spaß macht die Lektüre auch, besonders die der amerikanischen Ausgaben, des originären und unnachahmlichen Thompson-Sounds wegen. Man hüte sich aber vor Epigonentum. Wäre albern und peinlich. Nachäffer hat es schon zur Genüge gegeben. Sie haben ihrem Idol allesamt nicht das Wasser, äh, den Whiskey reichen können.

Doch so ein bisschen „Gonzo" kann sich jeder geben, gehört zur Blogger-Natur: Raushauen, was einem so alles durch den Kopf geht, ungeschönt, direkt, gnadenlos subjektiv. Scheiß drauf, was andere denken. Mit seinen Texten ist man nur sich selbst verpflichtet. Und der Wahrheit. Man spricht mit eigener, authentischer Stimme, man plappert nicht nach, man lässt sich durch nichts und niemanden korrumpieren. Den Falschspielern der Medienbranche wird selbstbewusst die Stirn geboten, den Spin Doctors, PR-Manipulatoren und Werbe-Fuzzis, die einen nur hinters Licht führen wollen. Denen streckt der rechtschaffene Blogger den Stinkefinger entgegen. Womit er eine gesunde Arbeits- und Lebenseinstellung beweist.

Dies ist mein letzter Eintrag bei germanblogs. Ich bin raus aus der Nummer. Tschau.

Die oben erwähnten Bücher von Hunter S. Thompson:

Kingdom of Fear: Loathsome Secrets of a Star-Crossed Child in the Final Days of the American Century. Simon & Schuster. New York 2003.

Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen. Heyne Verlag. München 2006.

Hey Rube: Blood Sport, the Bush Doctrine, and the Downward Spiral of Dumbness. Modern History from the ESPN.com Sports Desk. Simon & Schuster. New York 2005.

Hey Rube: Blutsport, die Bush-Doktrin und die Abwärtsspirale der Dummheit. Zeitgeschichte aus der Sportredaktion. Edition Tiamat / Verlag Klaus Bittermann. Berlin 2006.

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