Sprechwerkzeuge sind keine Sprachwerkzeuge

"Da Gott den Menschen zu einem geselligen Wesen bestimmt hatte, so erschuf er ihn nicht nur mit der Neigung und versetzte ihn nicht nur in die Notwendigkeit, mit seinen Artgenossen Gemeinschaft zu pflegen, sondern stattete ihn auch mit der Sprache aus, die das hauptsächliche Werkzeug und das gemeinsame Band der Gesellschaft werden sollte. Deshalb sind die menschlichen Organe von Natur so eingerichtet, daß sie fähig sind, artikulierte Laute zu bilden, die wir Wörter nennen."

Klingt toll – stimmt bloß nicht.

Was Locke, der Häuptling der Rationalisten, trotz seines Empirismus hier verkündet, ist immer noch eine Theodizee – also das beliebte Pastorenmärlein von der perfekten Welt, die so und nicht anders ist, weil Gott bzw. ‚die Natur‘ sie gerade so geschaffen und geplant hat. Der Mensch wie auch die Welt – die sind ‚von Gott bestimmt‘. Von Lockes Ansichten teilen wir heute eigentlich nur die Vorstellung, dass der Mensch ‚von Natur aus‘ ein soziales und geselliges Wesen sei.

Bild: wikipedia

Vor allem unsere Sprechwerkzeuge aber, die sind keineswegs ‚von Natur aus‘ zum Sprechen bestimmt. So ist unser Kehlkopf, der den Klang der Stimme erzeugt, ‚von Natur aus‘ nichts als ein simpler Verschlussmechanismus, der verhindert, dass uns die Pizzakrümel in die Luftröhre fallen. Berührt ein Fremdkörper die zwei elastischen Membranen darin, dann schließen die sich blitzschnell und schleudern den Eindringling in die Mundhöhle zurück. Wir nennen den Vorgang ‚Husten‘. Irgendwann, als einem unserer Vorfahren besonders wohl zumute war, da begann der wohl mit HIlfe des Kehlkopfs Brummgeräusche von sich zu geben, die wiederum nachfolgende Generationen immer mehr verfeinerten. Heute, nach jahrtausendelangem Feinschliff, nennen wir diese Hustenmembranen daher Stimmbänder – und das Brummen, das heißt bei uns heute Gespräch oder Gesang. Oder – unter Medienmenschen – Kommunikation. Der Vorgang, der dazu aber führte, der heißt seit Darwin Evolution.

In jedem Fall aber fiel die Sprache uns nicht vom Himmel auf die Füße, sie lag nicht in irgendeinem göttlichen Plan oder in der Natur herum, sondern sie war ein ‚evolutionärer Vorgang‘, der sich über Jahrtausende per ‚trial and error‘ hinzog. Und weil wir bis heute mit diesem seltsamen Organ kommunizieren müssen, das für die Gesprächsproduktion ‚eigentlich‘ gar nicht gedacht ist, deshalb ist unser Stimmapparat so empfindlich. Das wird uns jeder Fußballtrainer nach dem Spiel mit tonloser Stimme bestätigen.

Unser John Locke aber, der im 17. Jahrhundert lebte, der konnte so noch gar nicht denken und sprechen. Weil der Gedanke an ‚Fortschritt‘ und ‚Entwicklung‘ einfach nicht in der Welt existierte. Alle Geschichte, dachten die Leute damals, verlaufe im Kreis, mal war Krieg, mal war Frieden, mal geriet die Ernte, mal nicht. Allenfalls könne man die Welt ‚verbessern‘, indem man – wie Locke – die Erfahrung befragt und experimentell auswertet. Auch der Mensch bliebe sich im Kreislauf von Geburt und Tod immer gleich. Unserem John Locke fehlten bei aller Genialität gewissermaßen die Wörter, um unseren Stimmapparat und die Sprach- und Sprechentwicklung dem heutigen Stand der Dinge entsprechend zu beschreiben. Denn denken können wir immer nur das, wofür wir auch die Wörter zum ‚Beschriften‘ unserer Gedanken finden. Ein sprach- und damit formloser Gedanke ist nämlich keiner.

Schade eigentlich, dass wir nicht erleben werden, was die Leute in 1.000 Jahren über unsere wirren Gedanken sagen …

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