‚Rabenliebe‘ von Peter Wawerzinek: eine Rezension

„Das knallharteste Gefühl bleibt…ich habe nie eine Mutter gehabt und ich habe sie erst recht nicht, als ich sie getroffen hab.“
Ein Satz von Autor Peter Wawerzinek, der sich stellvertretend durch sein ganzes Leben zieht. In „Rabenliebe: Eine Erschütterung“ beschreibt er den Kampf in seinem Inneren, den er ausgelöst durch eine lebenslange Mutterlosigkeit immer wieder ausfechten musste. Sein Roman, erschienen 2010 bei Galiani Berlin, ist schweres Nervenfutter. Schwer verdauliches, weil real und mit voller Erzählgewalt ohne Rücksicht auf den Leser. Leben pur. Nicht umsonst wird das Buch regelmäßig als Erdbeben beschrieben. Ein Erdbeben, welches mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 2010 ausgezeichnet wurde.
Die Reportage zeigt den Roman und die darin vorkommende menschliche Naturkatastrophe:

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Die Rabenliebe einer Mutter

In der Wohnung 1956 als Zweijähriger in der DDR zurück gelassen, um dann seine Kindheit in Heimen verbringen zu müssen. Das Leben des Peter Wawerzinek. Auch seine Adoptivfamilie brachte ihm nicht die Liebe entgegen, die ein Kind verdient hätte. Emotionslosigkeit, die sein Lebensweg beschreibt. Nach unglaublichen 50 Jahren machte der Schriftsteller sich auf, seine Mutter zu finden.
Mit ernüchterndem Ergebnis: Die Mutter kalt und gefühllos, hat ihren Sohn nicht vermisst oder zeigt Reue. Sie behandelt ihn in aller Passivität und Ignoranz, die sie aufbringen kann. Wawerzinek beschreibt den Besuch und das Kennenlernen weiterer Halbgeschwister auf einer nicht enden wollenden Seitenanzahl. Das verdeutlicht, wie unfassbar die Mutterlosigkeit immer noch auf ihn wirkt. Auch wenn er diese personifiziert direkt vor der Nase hat.
„Es ist nicht genug Boden vorhanden für den beschämten Blick von mir, der sich im Boden vergraben will. Ich betrachte die Mutter und will nicht fassen, dass ich von dieser kalten Frau dort in die Welt geworfen sein soll.“

Vom Regen in die Traufe?

Die Anteilnahme des Lesers ist durchaus geweckt, wird allerdings durch Wawerzineks literarische Methode teilweise überstrapaziert. Erinnern und das ins Gedächtnis rufen, erzeugen einen Strom aus Emotionalität, die der Autor sucht, dem Leser irgendwann dermaßen auf den Magen schlägt, dass er möglicherweise dazu geneigt ist, das Buch zuzuklappen.
Und dennoch: Man kann den Autor nur bewundern. Für seinen Mut zu schreiben und dass über ein so heikles Thema, welches sein eigenes ist. Er klagt, er verzweifelt und schöpft trotzdem eine enorme Kraft. Denn durch den Besuch bei seiner Mutter hat er er zwar keine Liebe gefunden, dafür genug Schreibfluss für sein schriftstellerisches Schaffen. Viele Etappen im Buch sind zudem dermaßen traurig schön, dass man ihm vorangegangene Passagen schnell verzeiht.
Hier liest der Autor selbst:

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Gezielte Provokation

„Rabenliebe“ provoziert mit dem Bild und der Rolle der Mutter. Ist sie wirklich ausschließlich abhängig vom kindlichen Glück oder trägt nicht auch der Vater eine entscheidenden Anteil? Peter Wawerzinek klärt das für sich mit aller Deutlichkeit: Ohne Mutter geht nichts. Er schreit nach ihr, fordert, denn sie hat ihn geboren und ist für das glückbringende Band zwischen ihnen verantwortlich. Ohne Mutterbindung, keine Lebensfreude. Für den Leser lesenswert, für den Autor bis zu seinem Tod die Verarbeitung einer traumatischen Erfahrung mit der Rabenliebe als Sinnbild.

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