Poppy Ackroyd: „Escapement“ – Klavierspielerin mit flüchtenden Tönen

Auf ihrem Debüt-Album „Escapement“ (VÖ 14.12.2012 via Denovali) schlägt die gebürtige Londonerin relativ ungewöhnliche Töne an. Streng genommen schlägt sie diese nicht (nur), sondern sie tastet (sic!) sich sanft hinein und durchdringt ihre Klangwelten. Dort verweilend kratzt sie, klopft und zupft an Seiten, die sie dann und wann auch zärtlich streichelt. Über musikalische Neugier und behutsame Versuche am Innenleben von Klavier und Geige erzählt das Album ebenso wie von den Zwischentönen und kleinen Fluchten. Unser Hörtipp, um musikalisch depressionsfrei in den kalten Winter zu kommen.

Doppelbödig: Von Klangexperimenten und kleinen Fluchten

Die Musikerin und Komponistin Poppy Ackroyd hat den Titel ihres ersten Albums nicht nur klug gewählt, sondern auch konsequent umgesetzt. Der englische Ausdruck „Escapement“ meint hier nicht mehr nur die Momente von Flucht und Ausbruch, sondern liefert zugleich auch die konkrete Bezeichnung für einen mechanischen Vorgang im Inneren des Pianos. Wenn man auf dem Klavier eine Taste anschlägt, schlägt im Korpus die Klaviermechanik mit dem jeweiligen Hammer eine Seite an. Der Ausdruck „Escapement“ bezieht sich nun auf jenen Teil der Mechanik, welcher den Hammer zurückschnellen lässt, so dass die Klavierseite endlich frei vibrieren kann. Für ihr Debüt hat die Britin in den eigenen vier Wänden ein verwahrlostes altes Klavier restauriert, um intensiv mit den unterschiedlichen Spielarten und Klängen zu experimentieren. Zum Bespielen der Klavierseiten benutzt sie die Fingerspitzen sowie diverse Plektren, Drumsticks, E-Bows und kleine Becken. Weil Ackroyd aber nicht nur Klaviermusik studiert hat, sondern auch professionelle Geigerin ist, kann sie ihre Versuche gekonnt auf das Innenleben der Violine ausweiten.

Drinnen und draußen: Zwischen Improvisation und Komposition

Die sieben Titel im Grenzbereich zwischen Improvisation und Komposition sind allesamt von einer konzentrierten Entrücktheit gekennzeichnet, die stilistisch an Indie-Größen wie Nils Frahm, Chilly Gonzales und Dustin O'Halloran erinnert, die aber doch eigen ist. Gemastert wurde das Album im Übrigen wirklich von keinem Geringeren als Nils Frahm. Sämtliche Aufnahmen wurden von Ackroyd zuvor im Heimstudio produziert und in mehreren ineinanderfließenden Spuren zu einem Klangteppich verwebt. Darin finden sich auch tolle Field Recordings: etwa von schottischen Regenfällen, Vogelgesängen oder den Windgeräuschen auf langen Autofahrten. Allemal handelt es sich dabei um Außenaufnahmen, die den meditativen Soundtrack-Charakter des Albums perfekt mittragen und welche, gerade im ausufernden Kontrast zu Ackroyds eher introvertiert nachklingendem Studium der Instrumente, dann tatsächlich eskapistisch (sic!) an epische Ausflüge in wärmere Zeiten denken lassen.

Zwischen Klassik und Moderne: Etüden auf der Suche nach neuen Klängen

Das Album von Ackroyd zu hören, setzt unwillkürlich so eine Art Kopfkino in Gang, Hörkino quasi – und mit ihm einen Reigen von inneren Bildern und schwämerischen Assoziationen, Erinnerungen vielleicht und flüchtigen Phantasmen. So klingt Ackroyds Debüt nicht nur nach kräftigem Herbstwind und unermüdlichen Regenfällen, sondern womöglich auch nach ein bißchen Traurigkeit. Das zwischen Elementen der klassischen Romantik und Moderne changierende Indie-Album als gefühligen Klassik-Pop abzutun, wäre aber zu einfach. Denn bei aller melancholischen Verträumtheit schwingt auf der Platte doch ständig eine geduldige Neugier, ja Freude mit. Es ist die Neugier an den überraschenden Zwischentönen, die das Album durchweg wie eine ruhige Etüde auf der Suche nach neuen Klängen wirken lässt. Die Freude am sanften Aufstöbern und Aufstoßen von Hintertüren. Und diese Freude klingt noch lange nach – beseelt, wenn auch unaufgeregt.

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Poppy Ackroyd: Konzert-Termine in Deutschland

Bevor das Album am 14. Dezember 2012 bei Denovali erscheint, kommt Poppy Ackroyd bereits im November für eine gute Handvoll Konzerte nach Deutschland. Genau genommen sind es sieben: sieben Stücke auf Escapement; sieben Gigs für uns in deutschen Städten. Ob das wohl Zufall ist?

18.11.12 München – Hauskonzerte
19.11.12 Hamburg – Westwerk Bar
20.11.12 Essen – Weststadthalle Cafe
21.11.12 Leipzig – tba
22.11.12 Dresden – Scheune
24.11.12 Berlin – Tiefgrund
25.11.12 Münster – Fachwerk

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