Michelangelos Touchdown oder: Wo Gott die Welt berührt

Eine der machtvollsten Strömungen der zeitgenössischen Philosophie ist der Positivismus – also die Auffassung, dass nur solches Wissen als sinnvoll bezeichnet werden kann, welches sich auch vor der Erfahrung bewährt hat.

Spätestens seit dem Wirken des Wiener Kreises zu Beginn des ersten Quartals des 20. Jahrhunderts ist diese Auffassung nicht nur selbstverständlicher Bestandteil der Naturwissenschaften, sondern auch der Philosophie. Es gibt keine Auffassung, die unter zeitgenössischen Philosophen mehr Konsens findet als diese. Sie hat die Spielregeln, wie heute Philosophie betrieben werden darf, grundlegend verändert.

Obwohl diese Veränderung – die unverzichtbare Forderung, das Wissen in der Erfahrung zu verankern ist – historisch zu einem eklatanten Niedergang der Metaphysik geführt hat, so erweist sie sich in Wahrheit – mit Blick auf dieses einst als ein extrem schwierig bezeichnetes Fach – als ein wahrer Segen. Sie zwingt nämlich das metaphysische Denken auf natürliche Weise in Richtung ERFAHRUNG: Wenn man selbstverständlich davon ausgeht, dass etwas grundlegend Transzendentes innerhalb des empirischen Universums selbst nicht aufgespürt werden kann, denn das ist der eigentliche Wortsinn von Transzendenz, dann taucht unabweisbar die Frage auf: Wo kann man die Fussspuren Gottes innerhalb dieses empirischen Universums dann überhaupt entdecken?

Diese Frage lenkt den Blick ganz natürlich auf das Grenzgebiet zwischen beiden Sphären – also auf das Gebiet, wo das Universum und das Transzendente einander berühren. In Anlehnung an das berühmte Gemälde in der sixtinischen Kapelle, wo Gott Adam durch eine zarte Berührung zum Leben erweckt, bezeichne ich dieses Gebiet als "Michelangelos Touchdown".

Es gibt kein Gebiet, wo die Fussspuren Gottes deutlicher zu sehen sein müssen als eben dort – und das aus dem einfachen Grunde, weil dieses Gebiet durch nichts anderes strukturiert sein kann als durch das Transzendente selbst. Hier – auf dieser ultimativen physikalischen Ebene – kann das Universum mit seiner komplexen Erscheinungsvielfalt noch nicht dazwischen gefunkt und die Spuren Gottes bis zur Unkenntlichkeit verwischt haben. Hier spricht das Ewige direkt und unverhüllt zu uns selbst.

In früheren blogs habe ich versucht deutlich zu machen, wie diese Fussspur theoretisch aussieht. Wenn das Transzendente existiert, dann müssen, so meine Analyse, das Kleinste und das Größte koinzidieren – also: übereinstimmen.

Wie diese räumlichen Extremalbestimmungen zeigen, bewegen wir uns mit diesen Bestimmungen genau in diesem metaphysisch sensiblen Gebiet, wo Michelangelos Touchdown sich ereignet. Doch wie sieht es in unserem Universum aus? Lässt sich in ihm diese Spur finden?

Ich glaube, ja. Und auch dies habe ich bereits in einem früheren blog angedeutet: Es war jene empirische Koinzidenz, auf die der Physiker und Philosoph Ernst Mach Ende des 19. Jahrhunderts seine Kollegen erstmals aufmerksam gemacht hat.

In einem Hochschul-Lehrbuch zur Physik (Grundbegriffe der Physik, Teil I) hat der Physiker Friedrich Hund diese empirische Koinzidenz auf eine sehr prägnante Weise formuliert. Er schrieb: Der Trägheitskompass stimmt mit dem Sternenkompass überein.

Das war Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Hund bezeichnete diesen Befund – man höre und staune – als unheimlich. Und das ist er bis heute geblieben. Keiner weiß, was es mit dieser empirischen Übereinstimmung auf sich hat. Was Prof. Hund an diesem Befund unheimlich fand, ist – ein kleiner Hinweis für die Wissenden unter Euch – der Umstand, dass der Sternenkompass ein Inertialsystem auszeichnet, welches aber der Trägheitskompass (i.e. das Foucaultsche Pendel) nicht von anderen Inertialsystemen zu unterscheiden vermag. Wir haben es also mit einer höchst paradoxen Situation zu tun: Wir sind innerhalb der sichtbaren Welt mit einem Unterschied konfrontiert, ohne dass wir einen solchen Unterschied feststellen können.

Der Astrophysiker Prof. Trinh Xuan Thuan ist einer der wenigen Physiker, der diese unheimliche Übereinstimmung ausdrücklich mit einem geheimnisvollen Agens in Verbindung bringt. In seinem vielbeachteten populärwissenschaftlichen Buch Die verborgene Melodie schreibt er, dass diese Übereinstimmung weder auf Kraft noch auf Energieaustausch basieren und dass sie dennoch das gesamte Universum verbinden würde.

Er ist auch einer jener wenigen Physiker, der zeigt, dass dieser Befund – zumindest näherungsweise – auf Michelangelos Touchdown Bezug nimmt. In demselben Buch schreibt er: „Wir haben gesehen, daß die Expansionsbewegung des Universums von einem phantastischen kosmischen Reigen überlagert wird. Die Erde dreht sich um die Sonne, die Sonne dreht sich um das Zentrum der Milchstraße. Diese wiederum wird vom Zentrum der Lokalen Gruppe angezogen, die sich ihrerseits auf das Zentrum des Lokalen Superhaufens zubewegt. Auch dieser scheint auf einen gewaltigen, massereichen Galaxienkomplex mit dem Namen Großer Attraktor zuzustürzen. Erst weit jenseits des Lokalen Superhaufens nehmen diese Bewegungen ab, fällt die reine Expansionsbewegung des Universums ins Gewicht. Diese Choreographie ist die Ursache für die Abweichung der untersuchten Objekte von der Oszillationsebene des Foucaultschen Pendels. Die Abweichung tritt erst dann nicht mehr auf, wenn die Objekte weit genug entfernt sind, um nicht mehr im Reigen eingebunden zu sein. Der aus diesen Beobachtungen zu ziehende Schluß mag verblüffen: das Foucaultsche Pendel schwingt, ohne sein lokales Umfeld auch nur im geringsten zu berücksichtigen. Es nimmt Erde, Sonne, die Lokale Gruppe und den Lokalen Superhaufen überhaupt nicht zur Kenntnis und richtet sich ganz nach den fernen Galaxien…"

Und bei diesen fernen Galaxien handelt es sich, räumlich gesehen, um den größten Bereich unseres Universums. Wie es scheint, sind wir dem Allmächtigen unmittelbar auf der Spur … Inwiefern das Foucaultsche Pendel auch das Kleinste zum Inhalt hat, davon soll im nächsten blog berichtet werden.

Demnächst: Was ist der Ursprung der Trägheitsbewegung? Oder: Wie die Physik durch den freien Fall auf die Füsse kommt

3 Meinungen

  1. Vielen Dank für die Nutzung des Fotos – ein kleiner Link als Credit wär aber auch nett gewesen 😉

  2. Ich denke auch, dass die Hilfe durch Dritte in Anspruch genommen werden sollte, um zum Beispiel über den Verlust des Partners hinweg zu kommen. Ein Ventil für Gedanken und Gefühle kann nur helfen.

  3. Mit dem Alter wächst die Weisheit – wie man so schön sagt. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch sich irgendwann einmal fragt, ob er mit dem, was er geschafft hat, wirklich seinen Traum erfüllt hat. Jeder Mensch, der dieses von sich behaupten kann, muss glücklich sein. Für manche sind Kinder das Zentrum ihres Lebens, andere wollen nur sich selbst verwirklichen und andere wiederum sehen im Aufsteigen in der Karriereleiter ihren Lebensinhalt. Älter werden ist nicht einfach, vor allem wenn man merkt, das der eigene Körper nicht mehr dieselbe Leistung wie früher bringen kann. Aber ich glaub jeder muss seinen eigenen Weg finden mit dem Alter umzugehen. Bücher und Ratgeber können nur erste hilfreiche Tipps geben. Letztendlich ist jeder Mensch auf sich alleine gestellt.

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