Hilfe, mein Kapital macht sich selbstständig…

Sie glauben, es handele sich um einen verspäteten Aprilscherz? Durchaus nicht. Ich berichte Ihnen lediglich aus meiner täglichen anwaltlichen Praxis. Mein Abenteuerland zwischen Pleiten, Pech und Pannen.

Man nennt die Umwidmung von fremdem Geld in eigenes auch "Finanzierungsfolgenverantwortung". Wie viel harmloser und schöner hätte es geklungen, wenn Müntefering in der von ihm seinerzeit losgetretenen Heuschrecken-Debatte diesen Begriff im Mund geführt hätte? Dabei ist man seit jeher auf Regierungsseite in der Umschreibung von Grausamkeiten doch sonst so taktvoll. Das "Nullwachstum" tut nicht so weh wie konjunkturelle Stagnation. "Bürgerversicherung" klingt auch anheimelnder als "Kopfpauschale". Und jemanden bei seiner "Finanzierungsfolgenverantwortung" zu packen, findet sofort die Zustimmung des arglosen Betrachters.

Diese Finanzierungsfolgenverantwortung spüren insbesondere die Anteilseigner an Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften, wenn ihr Unternehmen in die Krise schlittert. Sichert ein Gesellschafter durch sein Vermögen die Existenz seines Unternehmens, z.B. indem er ein Darlehen zur Liquiditätsstützung gewährt, dann übernimmt er -auch gegenüber den Gesellschaftsgläubigern- diese wohlklingende Verantwortung.
Folge dieser Verantwortung ist, dass er erst dann wieder einen Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens, also seines Geldes, hat, wenn das Unternehmen die wirtschafliche Krise überwunden hat und wieder genügend freies, das Stammkapital (bei der GmbH zurzeit noch mindestens € 25.000) übersteigendes Vermögen vorhanden ist.

Dem mag man ja noch etwas abgewinnen. Denn der Gesellschafter weiß in der Regel um die wirtschaftliche Verfassung seiner GmbH oder AG. Er ist also gewarnt. Legt er erst Mittel ein, um sie dann, wenn sie am Nötigsten gebraucht werden, wieder abzuziehen, hat das was von aktiver Sterbehilfe und die ist bekanntlich verboten.

Aber Gesetzgeber und BGH haben die Finanzierungsfolgenverantwortung im Laufe der Jahre perfektioniert.

Vermietet der Gesellschafter ein privates Grundstück an die Gesellschaft, auf dem der Betrieb geführt wird, dann ist das in der Krise der Gesellschaft eine "eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung". Die Gesellschaft schuldet in der Krise keine Miete mehr. Gleichwohl muss der Gesellschafter das Grundstück zur Nutzung überlassen. Das gilt auch in der Insolvenz, wenn der Insolvenzverwalter entscheidet, das Unternehmen fortzuführen. Das hat schon so manchen Gesellschafter in die Privatinsolvenz getrieben, weil er Zins und Tilgung für die Immobilienfinanzierung nicht mehr tragen konnte.

Aber damit nicht genug. Der umtriebige BGH hat noch weitere Gesellschafterleistungen als kapitalersetzend definiert:
Stille Beteiligungen, Stundungen von sonstigen Forderungen, z.B. aus Warenlieferung von Gesellschafter an die Gesellschaft, unechtes Factoring, Diskontierung von Wechseln, Pensionsgeschäfte (§ 340 b HGB), Emission von Industrieobligationen, Finanzierungsleasing (sale and lease back)
usw. können unter Umständen auch der Umwidmung anheimfallen. Drei, zwei, eins… Deins!

Wir sind übrigens immer noch nicht mit unserem kleinen Rundflug über die aktuelle Rechtsprechung fertig, auch wenn dem interessierten Leser schon jetzt eine Horde marodierender Fragezeichen über die Stirn tobt.

Eine gesetzgeberische und höchstrichterliche Meisterleistung ist sicherlich die Einbeziehung von Kapital in die Haftung, das noch gar nicht geflossen ist. Gibt´s nicht? Geht doch! Das sind die sog. eigenkapitalersetzenden Sicherheiten.
Also: Ein frohgemuter Gesellschafter bürgt für den Kontokorrentkredit seiner GmbH. Die geht pleite. Der Gesellschafter freut sich, dass vor der Insolvenzeröffnung noch so mancher Kunde zahlt und die KK-Linie nahezu ausgeglichen wird. Leider zu früh gefreut! Denn nun nimmt ihn statt der Bank der Insolvenzverwalter in Anspruch, weil er als Bürge aus Mitteln der GmbH (Kundenforderungen) entlastet wurde. Aber die Bürgschaft war schon in der Krise wie eingelegtes Eigenkapital zu behandeln.

Es reicht Ihnen? Einen hab´ich noch:

Um Umgehungen jedweder Art vorzubeugen, werden selbstverständlich auch sog. nahestehende Personen oder verbundene Unternehmen (Mutter-/Tochtergesellschaft) in die Eigenkapitalersatzhafung einbezogen. So kann sich auch plötzlich das Geld des Ehegatten, das er dem Unternehmen darlehensweise gewährt hat, in Eigenkapitalersatz verwandeln.

Übrigens ist eine dieser bösen, großkapitalistischen Heuschrecken und Globalisierungsmonster auch schon einmal ganz fies von den Eigenkapitalersatzregeln am Geldbeutel gepackt worden. So musste die Deutsche Bank AG in der Holzmann-Pleite feststellen, dass ihre an die Baufirma geleisteten Darlehen eigenkapitalersetzend geworden und damit nicht mehr zu realisieren waren. Warum? Die Deutsche Bank AG hielt 25 % der Aktien an der Philipp Holzmann AG. Blöd, wenn man sich zu hohe Beteiligungen anlacht, und die eigene Rechtsabteilung nur in M&A-Geschäften fit ist, nicht?

Eine Meinung

  1. Chefarztfrauenfreund

    Guter Stil, der Thematik angepasst. Prima!

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