Grundeinkommen ? ein radikaler Vorschlag

Denn jetzt hat sich zum ersten Mal ein „prominenter“
Wirtschaftswissenschaftler für die Einführung eines Grundeinkommens in
Deutschland ausgesprochen. Unter der Woche, genau gesagt am 4. Mai,
veröffentlichte die Frankfurter Rundschau Online ein Interview mit Thomas Straubhaar, seines Zeichens Leiter des privat finanzierten Hamburgischen
WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Darin fordert Straubhaar, eigentlich bekannt
als eher nüchterner Analytiker, eine Existenzsicherung für jeden Bundesbürger:
mindestens 7.525 Euro im Jahr. Über die Höhe dieses Basiseinkommens müsse – so
Straubhaar – letztlich politisch entschieden werden. Sie sei abhängig von den
Steuersätzen, insbesondere von der Einkommenssteuer und der Mehrwertsteuer.
 
Damit springt Straubhaar einem anderen Verfechter des
bedingungslosen Grundeinkommens argumentativ zur Seite, nämlich Götz Werner,
dem Chef der Drogeriemarkt-Kette dm. Werner rührt seit Monaten kräftig die
Werbetrommel für seine utopisch anmutende Idee eines Grundeinkommens für alle,
das er mit bis zu 1.500 Euro pro Monat veranschlagt. Siehe seine Informations-Homepage „Unternimm die Zukunft“.
 
Worum geht es eigentlich bei diesem alternativen
Wohlfahrtsmodell? Und wieso wird gegenwärtig versucht, diesen Ansatz zu
popularisieren?
 
Eine der gängigsten Definitionen lautet: Ein allgemeines
Grundeinkommen ist „ein Einkommen, das von einem politischen Gemeinwesen an
alle seine Mitglieder individuell, ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne
Gegenleistung ausgezahlt wird“
(Zitiert nach Vanderborght/Van Parijs. Bibliographie
siehe unten).
 
Anders gesagt: Beim Grundeinkommen handelt es sich um eine
solidarische Existenzsicherung für alle Bürgerinnen und Bürger eines Landes.
Der gemeinsam erwirtschaftete Reichtum soll allen zugute kommen. Wobei
natürlich nicht ausgeschlossen werden soll, dass jeder individuell etwas
hinzuverdient, und zwar so viel, wie er will. Ein Quasi-Arbeitszwang, wie er
auch dem Prinzip des „Fördern und Forderns“ entspricht, besteht nicht.
 
Unter einen bestimmten Einkommensbetrag, der ein bescheidenes
Leben ermöglicht, kann folglich niemand mehr fallen. Die Zeiten von Armut und
Arbeitslosigkeit wären passé. Die Zeit der hohen Sozialversicherungsbeiträge
ebenfalls. Die Lohnkosten der Unternehmen würden extrem sinken, Arbeit wäre
endlich wieder bezahlbar. Bei dieser Art der gemeinschaftlichen
Subventionierung von Arbeit käme der ersehnte Beschäftigungsboom von ganz
allein.
 
Ausgestattet mit einem angemessenen Startkapital, dem
Grundeinkommen, wäre jeder seines Glückes Schmied; er wäre frei, könnte konsequent
seinen Interessen und Neigungen nachgehen, ohne jemals wieder Existenzängste
durchleben zu müssen. Götz Werner zufolge würde die Gesellschaft „gewaltig“ reicher werden: vielleicht gar nicht so sehr materiell, sondern reicher an
Ideen, geschäftlichen wie künstlerischen, die die Menschen selbstbestimmt
umsetzen. Daraus könnte eine enorme gesellschaftliche Dynamik erwachsen: mehr
persönliche Freiräume, mehr Chancen, sich produktiv in den
Wertschöpfungsprozess einzubringen, mehr Humanität.
 
Mehr Humanität! Die Götz Werner aufgrund der gegenwärtigen
arbeitsmarktpolitischen Misere und dem „Horror“, den Hartz IV verbreitet (vgl.
DER SPIEGEL 21/2005), wohl völlig abhanden gekommen sieht. Hartz IV sei
„Menschenquälerei“, „offener Strafvollzug“, ließ Werner vor kurzem
publikumswirksam verlauten. „Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz
IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität.“ Den Grund des Übels hat
Werner auch schon ausgemacht: Die verantwortlichen Politiker seien
„narkotisiert vom Vollbeschäftigungswahn.“
 
Notwendig sei es hingegen, die Menschen vom Zwang zur
Erwerbsarbeit zu befreien, von einer Arbeit, die sie nur des Einkommens wegen
leisten, nicht aber weil sie ihren Neigungen und Fähigkeiten entspricht und sie
mit ihr einen Sinn verbinden, der sie innerlich erfüllt. Dem „Mythos“ der
Vollbeschäftigung anzuhängen, sei grundverkehrt. Der Erwerbsgesellschaft gehe
nun mal die Arbeit aus, die bezahlte, wohl gemerkt, nicht die Arbeit an sich.
Zu tun gibt’s genug. Keine Frage.
 
Vor allem für die wirtschaftsliberalen Befürworter der
Grundeinkommensidee ist klar: Wir müssen die Menschen in die Lage versetzt
werden, sich ihre Arbeit bzw. ihre tagtäglichen Beschäftigungen selbst
auszuwählen. Also beseitigen wir als erstes den Sozialstaat in seiner
bestehenden Form! Er unterbindet die Eigeninitiative, er zerstört die Freiheit.
 
Kann man einen derartig radikalen Systemwechsel wirklich
postulieren? Ja, man kann. Wie HWWI-Chef Thomas Straubhaar, der in diesem Punkt
eine deutliche Sprache spricht: „Ich will die Abschaffung des Sozialstaats.“
 
Zwei „kritische“ Anmerkungen zum Schluss: Würden sich viele
Bezieher des Grundeinkommens nicht einfach auf die faule Haut legen? Und wie
könnte sichergestellt werden, dass genügend Menschen arbeiten, sprich an der
gesellschaftlichen Wertschöpfung mitwirken, durch die der Reichtum produziert
wird, von dem die Gemeinschaft insgesamt lebt?
 
Und die alles entscheidende Frage: Wie ließe sich dieses
Modell denn finanzieren? Die Idee des Grundeinkommens klingt so utopisch, dass
mancher sofort abwinken wird: Können wir uns eh nicht leisten! Forget it! Aber
nichts da. Das Modell ist von verschiedenen Seiten durchgerechnet worden. Mit
unterschiedlichen Ergebnissen. Straubhaar etwa würde alle Einkommen (Löhne,
Zinsen, Mieteneinnahmen, Kapitalerträge) mit einem gleichbleibenden Steuersatz
von 35 Prozent besteuern. Die Mehrwertsteuer würde in seinem Modell bei circa
25 Prozent liegen. In Werners Modell dagegen läge die Konsumsteuer noch weitaus
höher, bei bis zu 50 Prozent. Dafür würde aber die Arbeit an sich, die ja die
Werte überhaupt erst schafft, nicht besteuert. Weitere Finanzierungsvorschläge
finden sich in dem erst kürzlich veröffentlichten brand eins-Artikel
„Ausgerechnet: Grundeinkommen“ von Sebastian Jost.
 
Thematisch interessant ist auch der Artikel „Lohn der Angst“ von Wolf Lotter, ebenfalls in brand eins erschienen. Sowie das
sozialphilosophisch ansetzende, jedoch sehr lesbare (und lesenswerte!)
Einführungswerk
 

Yannick Vanderborght / Philippe Van Parijs:


Ein Grundeinkommen für alle?

Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags
Mit einem Nachwort von Claus Offe
Campus Verlag
Frankfurt / New York 2005 

8 Meinungen

  1. Was ist eigentlich mit KV-Beiträgen? Wer zahlt die in den Modellen die AG oder müssen sich alle „Arbeitnehmer“ privat versichern?

  2. Denkbar wäre sowohl eine komplette Umstellung auf private Krankenversicherung, die jeder abschließen müsste (obligatorisch), als auch eine staatlich garantierte medizinische Grundversorgung, die natürlich privat ergänzt werden könnte.

  3. Wo genau ist da jetzt der Unterschied zum Prinzip der momentanen sozialen Sicherung? Ich meine eine Konsumsteuer von 50 Prozent auf alles plus private KV plus Miete und das ganze von 1500 Euro. Da haben es die Hartz-Empfänger auch nicht viel schlechter (womit ich nicht sage, dass es ihnen gut geht) mit ihren 331 Euro, die sie zum reinen auf-den-Kopf hauen haben.Ab welchem Alter bekommt man das Geld? Wie sieht es aus mit Mehrpersonenhaushalten? Wird es weiterhin Kindergeld geben?

  4. Wer alles ein Grundeinkommen bezieht, wie hoch es ist, ob es nach Alter gestaffelt wird, ob es nach wie vor Kindergeld gibt – das sind sicherlich wichtige Fragen. Über die müsste vor dem „Systemwechselt“ natürlich politisch entschieden werden. Aber jeder hätte Anspruch auf ein Grundeinkommmen. Das ist der große Unterschied zur jetzigen Hartz IV-Regelung, die den Bedürftigen eine Art Grundsicherung gewährt.Wer sich einen Überblick über die heißdiskutierten Details des Grundeinkommensmodells verschaffen will, dem empfehle ich die Info-Seite von Götz Werner. Wohl gemerkt: Das Werner-Modell ist nur eins unter vielen. An der Debatte nehmen Vertreter der verschiedensten politischen Lager teil. Gerade das finde ich besonders spannend.

  5. Nur eine Anmerkung zu einem interessanten Artikel mit guter Diskussion:Der Einwurf, besser der Verweis, von Stefan Bruhn sollte m.E. nicht so stehen bleiben. Ich glaube wir können uns nicht wirklich vorstellen was es heißt von 331 Euro zu leben. Habe mir mal meine Ausgaben über die letzten Monate angeschaut und selbst wenn ich ÖPNV Ticket, Tabak (sollte eh aufhören), Telefon und Internet – den ganzen Krimskrams ohne den man wohl auch leben könnte – abziehe dann sähe es verdammt traurig aus. Von Tageszeitungen, Büchern, kulturelle Aktivitäten etc. ganz zu schweigen. Bliebe Änderung der Ernährung, gut da ließe sich bestimmt einiges einsparen, (Aldi statt Bio), für soziale Aktivitäten, die über den Besuch der Suppenküche hinausgingen, keine Mittel. Zur materiellen Verarmung die soziale Vereinzelung in einer auf Arbeit fixierten Gesellschaft. Damit wäre natürlich auch der Anreiz gegeben, in einem System mit Grundsicherung weiteres Einkommen zu erwirtschaften.

  6. @lafargue Da sind wir uns einig, ich wollte keineswegs sagen, dass es sich von 331 Euro leben lässt. Bin bloß der Meinung, dass wenn man von den 1500 Euro leben und alles selbst bestreiten muss auch nicht viel mehr unterm Strich bleiben wird. Sollte doch lediglich ne kleine Provokation sein 😉 Mit dem Rauchen sollte ich auch aufhören und Kochen statt Kebab, aber das ist ein anderes Thema.

  7. Mit der vorgeblichen Begründung „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ wird unbeirrt (und unbeirrbar) an einem Bild vom Menschen als einem (vernunftbegabten) Nutztier festgehalten, das seine Existenz in erster Linie durch Erbringung von „größtmöglichem“ Nutzen rechtfertigen müsse. Zu inhaltsleeren Schlagworten gemacht, müssen „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ herhalten, um die bisherige Kopplung von Arbeit und Engagement, sowie die Ermöglichung bzw. Sicherung des Lebensunterhalts weiterhin dogmatisch als natur-(gott-?)gewollte Ordnung menschlichen Zusammenlebens unhinterfragt dastehen lassen zu können.Dahinter steckt eine Auffassung vom Menschen, die diesen wesentlich als antriebsloses, zu Faulheit und Untätigkeit neigendes, sich selbst nicht hinreichend verpflichten könnendes, letztlich per se verantwortungsscheues oder –loses und unmündiges Lebewesen ausweist. Mit der Einsatzbereitschaft ist es dabei – vergleichbar mit der jeweiligen Fähigkeit zu Anstrengungen und den diversen jeweiligen Leistungsfähigkeitsschwerpunkten – zwar grundsätzlich und je individuell gewiss sehr verschieden bestellt, und es mag auch sein, dass dem Menschen ein natürlicher Hang zu Untätigkeit oder Anstrengungsvermeidung eignet: Jedoch gehört jedem Menschen genauso wesensmäßig die prinzipielle Fähigkeit und Möglichkeit des Vernunftgebrauchs an, und damit zusammenhängend die menschliche Eigenart des intentionalen Denkens und Handelns. Natürlicherweise will der Mensch leben. Das bedeutet für ihn als endliches Lebewesen aber immer zugleich auch, dass er Absichten hat, sich also Zwecke setzt – und zwar qua menschlicher Natur. Und das heißt nicht nur, dass jeder Mensch durch sein Menschsein bereits tätig ist, sondern dass er es darüber hinaus auch notwendig sein muss. Vom Menschen auszugehen als einem Lebewesen, das derart konstituiert und organisiert sei, als ob es einzig aus der Not heraus zur Existenzsicherung, zwecks Nahrungserwerb und Ausleben des Fortpflanzungstriebes, tätig würde, bedeutet, dem Menschen seine spezifische Menschlichkeit abzusprechen und ihn in der Tat als Säugetier zu sehen, das neben seinen Instinkten – man will fast sagen: überflüssigerweise – auch noch Verstand und Vernunft (hier: Intentionalität) hat.Jener Befund soll an dieser Stelle ausreichen, um eindringlich untermauern und belegen zu können, dass die Philosophie zum Thema des Grundeinkommens nicht schweigen darf. Denn ganz grundsätzlich geht es doch dabei darum, den Begriff des sich selbst verpflichten könnenden und tatsächlich verpflichtenden, Verantwortung übernehmenden und tragenden, mündigen Menschen nicht nur beständig in Erinnerung zu rufen, sondern vielmehr zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen, denjenigen Begriff des Menschen also in den Köpfen zu verankern, der – mit Kant gesprochen – niemals bloß als Mittel, sondern stets zugleich als Selbstzweck anzusehen ist, und der stets seiner Pflicht, der Menschenwürde in seiner Person gerecht zu werden, bewusst sein kann.Die Idee eines „bedingungslosen Grundeinkommens“, das in existenzsichernder Höhe voraussetzungs- und einschränkungslos ausgezahlt wird, schafft idealer Weise genau den allgemeinen (also nicht-exklusiven) Zustand einer dem Menschen möglichen Gerechtigkeit und Gleichheit „auf Erden“, nämlich im Sinne der Ermöglichung von (ökonomischer) Chancengleichheit. Pflichtgemäßes und –getreues Leben und Handeln werden dergestalt gerecht, nämlich jedem Menschen, ermöglicht: jeder hätte unter diesen Voraussetzungen, also ohne ökonomische Existenzangst, gleichermaßen die Möglichkeit, seiner qua Menschsein bestehenden Pflicht, der Menschenwürde in seiner Person zu entsprechen oder Ihr eben schlicht „gerecht zu werden“.Es stellt eine Unterschätzung und Verkennung, um nicht zu sagen eine Herabwürdigung des Menschen dar, dessen vorrangiges Lebens- und Daseins-Ziel im ausschließlichen Suchen des je eigenen (kurzfristigen) Vorteils und damit der Pflichtvergessenheit zu sehen. Doch gerade diese Form des unguten Zynismus ist es, die in weiten Teilen von dezidierter Auseinandersetzung mit Konzepten des Grundeinkommens Abstand nehmen lässt und so quasi über die Hintertür aktiv zur zunehmenden Verschlechterung gesellschaftlicher Chancengleichheit beiträgt.www.philosophiemonatsbrief.de

  8. Hier gibt es einen schönen Blog der sich fast ausschliesslich zum Thema Grundeinkommen, Grundsicherung äussert.Eine Idee Ein Blog – GrundeinkommenIst auf jedenfall sehenswert.

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