Gefühlte Kommunikation

Was macht der ordinäre Werber? Er propagiert den Fortschritt, nennt sich gerne „Avantgarde“, ist selber aber eher ein zurückhaltendes bis feiges Wesen, das er, sollte er noch deutsch können, wohl mit „wertekonservativ“ kaschiert. Vielleicht liegt es daran, das er weiß, dass die „Avantgarde“ meist starb. (Was nicht verwundert – umschrieb dieser Terminus ursprünglich doch nichts anderes als die militärische „Vorhut“.)

Er will also Sicherheit und die hat er jetzt: Stimmung im Land ist gut, die Nationalmannschaft ist erfolgreich, man selbst vielleicht grad nicht so (das doofe Volk und die seltsamen Menschen, die, äh, die, äh, ach ja, Kunden, lle gucken ja gerade WM) und da heißt es, schnell noch auf den Zug aufspringen (eine Art Berufskrankheit), bevor man auch diesen verpasst.

Jetzt kommen Sie also, die professionellen Wundlächler, und prognostizieren wieder:

Frankfurt/Main (dpa) – Deutschlands Werbe-Profis lieben Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Der erfrischende Auftritt der deutschen Elf und ihres Teamchefs könnte eine Vorlage für die Kommunikationsbranche liefern, schreibt das Fachblatt.

Für den Vorstand der Agentur Scholz & Friends, Sebastian Turner, ist Klinsmann bereits der «Reform-Kommunikator des Jahres». Uli Veigel, Chef der Agentur Grey, findet die «einfache, aber klare Sprache» des Trainers nachahmenswert: «Man versteht ihn. Besser noch: Man fühlt ihn.» Klinsmann zeige zudem, dass es durchaus erfolgreich sein kann, mit Traditionen zu brechen, meint Bernd Heusinger, Kreativchef der Agentur Zum goldenen Hirschen. «Darüber werden nun einige Marken nachdenken. Der Mut für kreativere und frechere Kampagnen wird zunehmen», sagte Heusinger.

Gehen wir das mal schön der Reihe nach durch:

1. Satz: Satz im Indikativ und Vollverb (lieben): Aussage.
2. Satz: Satz im Konjunktiv mit Modalverb: Mutmaßung.

Ist das eine Nachricht? Ist „Reform-Kommunikator“ ein Wort? Und, aha, „man fühlt ihn“, OK, ich weiß, dass das nicht körperlich gemeint ist, aber was soll es sonst sein – außer Käse? Ich kann mir beim besten Willen, und davon habe ich mehr als genug, vorstellen, dass man den Backnanger Komperativ („sehr, sehr stark“ „ganz, ganz toll“ „viel, viel Spaß“ etc.) fühlt, und wenn ja ich mich dem nur insofern anschließen kann: „Oh, Gott. Oh, Gott.“ (Die Katastrophe begann mit der Einführung des Terminus „gefühlte Temperatur“. Es folgte die „gefühlte Zeit“ und nun also „gefühlte Kommunikation“, evtl. sogar „gefühlte Reform-Kommunikation“.)

„Dass es durchaus erfolgreich sein kann, mit Traditionen zu brechen.“ ist immer richtig. Es kann natürlich auch total scheiße werden (siehe „Camel“). Aber klar, dass der Kreativchef einer Kreativagentur so etwas sagt und auch so tut, als ob er über Datenmaterial verfügt, das seine These stützt, weshalb nun „einige Marken darüber nachdenken“. Ich glaube, dass einige Marken immer (und nicht nur nun) darüber nachdenken. Das will ich den deutschen Marken und Marketingabteilungen mal zugute halten.

Ob nun der Mut wirklich zunimmt, wage ich erst dann nicht mehr zu bezweifeln, wenn Deutschland bis zum E!M-Finale ungeschlagen bleibt – und ich bin mit Sicherheit ganz so wie JK, der Mann, der nur ein paar Stunden älter ist als ich, kein Pessimist, vielleicht eher ein Optimist mit Erfahrung.

Und die selben Euphoriker von heute, meinten nochmal was damals nach dem 1:4 gegen rigatoni et al? Konnte da nicht ein enormer Schaden der Marke Deutschland drohen? War da nicht eher von „an sich“ gut (Evolution), „aaaaaaaaaaaber nicht so ….“ (Revolution) die Rede?

Nun, ich bin gespannt, was nach der WM und den Sommerferien übrig bleibt vom Volks-Hype. Hoffentlich viel. Aaaaaaaaaaber …..

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