Für eine Handvoll Interviews

Stefan Wessels vertröstet uns auf später. "Nach dem Duschen, ok?". "Immerhin," wende ich mich zu Lukas, "Wessels sagt, nach dem Duschen können wir ein Interview machen." Doch mein Nebenmann holt mich in die Realität zurück. "Wenn er das mal nicht nach dem Duschen vergessen hat." Er hat.

Als wir uns um 16.00 Uhr auf die 300 Kilometer von Köln nach Karlsruhe machen, klingt der Auftrag noch simpel:

O-Töne für die Sendung am Dienstag sollen her. Die Hinfahrt verläuft noch unproblematisch und dient zur Diskussion: Der FC allgemein, der FC und Christoph Daum, der FC und die Boulevardpresse und der FC heute abend.

Die Parkplatzsuche gestaltet sich schon schwieriger. Unsere Akkreditierungen samt Parkausweis liegen am Schalter der Firma Sportcast. Wo der ist? Keinen Schimmer, ich war noch nie im Wildparkstadion. Der Ordner spricht in unverständlichem Idiom. Aus seiner Gestik schließe ich, dass wir wenden sollen, wenn wir zum Presseparkplatz wollen. Da ich nicht auf Krawall gebürstet bin, erspare ich den 20 hinter uns wartenden Autos ein Wendemanöver. Es wird kostenpflichtig geparkt. Fünf Euro verlangt der Tabellenführer der zweiten Liga von seinen Zuschauern für das Abstellen eines Fahrzeugs. Auch das dürfte Liga-Spitze sein.

Wir machen uns zum Presseraum auf. Eine halbe Stunde vor dem Spiel werden die Aufgebote bekannt gegeben. Panik macht sich breit, Taktiken und Systeme werden ent- und wieder verworfen, man bespricht sich, ruft die Redaktionen an.

Lukas soll kurz vor Spielbeginn per Telefontalk live in der Sendung die Aufstellung bekannt geben. Die herauszufinden erweist sich aber als Glücksspiel. Christoph Daum hat, wie schon im Spiel gegen Paderborn, sechs nominelle Verteidiger aufgeboten. Dass er schließlich Mitreski als Sechser und davor eine Dreierreihe aus Ehret, Sinkiewicz und Cabanas aufbietet, kann wohl niemand ahnen. Wir basteln uns ein schwammiges 4-4-2 zusammen.

Auf der Tribüne bittet uns Eugen Striegel, die Plätze zu räumen, die wir ins Blaue hinein besetzt haben. Dramatisch kündigt er an, der Nationaltrainer werde erwartet und neben ihm sitzen. Als ich während des Spiels zu ihm herüber schaue, frage ich mich, wieso Rainer Krieg an Stelle von Jogi Löw neben dem Oberschiri sitzt. Erst als ich darüber nachdenke, dass sich Rainer Krieg und Hans Flick verblüffend ähnlich sehen, dämmert mir, dass es sich um den Co-Trainer der Nationalelf handelt.

Der KSC schafft es, trotz Daums Versuch der Verbarrikadierung des zentralen Mittelfelds, erstaunliche Löcher in den Abwehrverbund des FC zu reißen und erzielt in der 13. Minute nach Doppelpass Freis-Kapllani-Freis das 1:0.

Vor dem Spiel hat Daum von einem Big-Point gesprochen, von der Chance für seine Mannschaft, in diesem Spiel zur Einheit zusammenzuwachsen. Daran erinnert sie sich jetzt offenbar. Sinkiewicz ist zwar nicht sonderlich einfallsreich als zentraler Mann, aber er hat Spielverständnis. So weiß er zumindest solide Bälle zu spielen, das Tempo zu bestimmen. Novakovic erzielt das 1:1, das nach gespielten 21 Minuten verdient ist. Mir gelingt es, meine Freude mäßig zum Ausdruck zu bringen. Lukas hingegen bemüht sich gar nicht erst um Zurückhaltung. Die VIPs tuscheln vereinzelt- aber es ist egal. Ich verstehe ich sie ja ohnehin nicht; dem Idiom sei Dank.

Es ist die Partie einer spielstarken, selbstbewussten Mannschaft gegen eine aus der Not geborene, verunsicherte. Der KSC überzeugt im Mittelfeld durch Variabilität und Mut zum Risiko. Lediglich Aduobe hat hier eine feste Aufgabe, nämlich vor der Abwehr aufzuräumen. Federico und Porcello wirbeln dort, wo es ihnen gefällt. Dabei stehen sie sich nie auf den Füßen, verstehen sich blind. Carnell kommt häufig über den linken Flügel, rückt aber bei Bedarf in die Mitte. Diese Mannschaft ist schnell und unberechenbar.

Die Kölner verharren hingegen starr auf ihren Postitionen, sind darauf bedacht keine Fehler zu machen. In ihrer Situation ist es das richtige Rezept. Jeder weiß, was er tun muss, damit die Mannschaft mithalten kann. Und genau das wollen sie.

Sie schaffen es bis zur Halbzeit. In der zweiten Hälfte wird klar: Karlsruhe will diesen Sieg und sie haben die Mittel, ihn zu erringen. Sie attackieren und schnappen in der 65. Minute zu. Der Wildpark singt.

Zuerst glaube ich, der Karlsruher Anhang will Christoph Daum einen Ratschlag geben: "Ohne Chihi habt ihr keine Chance". Eine Aufforderung an Daum, den Reservisten Adil Chihi einzuwechseln? Ich höre genauer hin und erkenne, dass es ein Schmähgesang auf zurückliegende Glanzzeiten des 1.FC ist. "Ohne Litti habt ihr keine Chance!"

Das Spiel endet 2:1. Das ist miserabel für uns, denn Verlierer geben ungern Interviews. Trotzdem drängeln wir uns mit dem Rest der Pressemeute in die Mixed-Zone. Einer nach dem anderen schlürft mit gespielter Geistesabwesenheit an uns vorüber. Wir versuchen zum Mannschaftsbus zu gelangen. Doch die Ordnerin baut gerade die Absperrung auf:Hier keine Interviews. Thiemo Müller vom Kicker war schneller und darf jetzt am Bus lauern. Lukas hechtet zurück, ich hinterher. Schließlich erwischen wir Michael Meier. Zufrieden sei er mit der Leistung, nicht mit dem Ergebnis. Immerhin, ein Statement.

Ab zur PK. Es ist absurd: Da sitzt der Trainer des heutigen Siegers, des Tabellenführers und Aufstiegsfavoriten, aber 80 Prozent der Fragen gehen an Christoph Daum. Edmund Becker ist das zwar gleichgültig, er lässt die Prozedur über sich ergehen. Aber man sieht ihm an, dass er sich über die Verhältnisse wundert, die der FC auslöst.

Ein O-Ton und ein paar Phrasen von der Pressekonferenz. Dafür extra nach Karlsruhe gefahren, 600 Kilometer und elf Stunden unterwegs gewesen. Gut, hätte Lukas auf dem Rückweg nicht den Bordstein für die Fahrbahn gehalten -hätten wir also unseren rechten Vorderreifen nicht auswechseln müssen- wir wären eine halbe Stunde eher zu Hause gewesen.

Gleichwohl, es bleibt dabei: Auswärts -das letzte Abenteuer. Auch als Journalist.

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