Digitale Fessel 9: Softwarepatente

Eigentlich sollten in der EU sog. Softwarepatente kein Thema sein. Denn seit 1973 sind im europaeischen Raum 'Geschaeftsmethoden und Programme für Datenverarbeitungsanlagen nicht patentfaehig'. So ist es im europaeischen Patentabkommen geregelt und dies hat auch einen guten Grund: Ein Grossteil der europaeischen Wirtschaft – insbesondere kleine und mittelstaendische Betriebe – leben von ihrer Flexibilitaet, also ihrer Anpassungsfaehigkeit an das Marktgeschehen. Diese Betriebe koennen jedoch nicht mehr wirtschaftlich operieren, wenn fuer Geschaeftsprozesse, oder Programmiertechniken und Algorithmen teure Lizenzen erworben werden muessen. Das Resultat waere eine weitere Monopolisierung des Marktes, deren Folgen von Unternehmen und Verbrauchern gleichermassen ausgebadet werden muessen.

Worum geht es genau? Es geht nicht um das Urheberrecht an einem Computerprogramm, also einer Software – dies ist eindeutig geregelt. Jedoch geht es um die Art und Weise, wie ein Programmierer ein bestimmtes Problem loest; sozusagen um den Algorithmus, oder die Art und Weise, wie die Software vom Anwender bedient werden kann.

Ein einfaches Beispiel fuer ein existierendes(!) Softwarepatent ist die Darstellung des Fortschrittes eines Prozesses – der sogenannte Fortschrittsbalken. Jeder kennt dies von unzaehligen Programmen, die den aktuellen Status so anzeigen. Vom Versenden einer Mail, ueber das Laden einer Webseite (meist rechts unten in der Status-Zeile des Browsers) bis hin zum Drucken eines grossen Dokuments. Im Gegensatz zur Sanduhr liefert der Fortschrittsbalken dem Anwender mehr Informationen. Da sich die verbleibende Dauer fuer einen Prozess (mehr oder weniger) gut abschaetzen laesst.

Obwohl Patentaemter dazu angehalten sind, solche oftmals auch als Trivialpatente bezeichneten 'Erfindungen' nicht zu patentieren hat die Firma IBM im Jahr 2002 fuer den Fortschrittsbalken das Patent mit der Nummer "EP0394160" erhalten.
Man stelle sich vor, ein Hersteller von Tueren wuerde sich den Vorgang 'Tuere oeffnen durch herunterdruecken der Klinke' patentieren lassen und alle anderen Hersteller muessten nun entweder Lizenzgebuehren zahlen oder ein (vermutlich technisch aufwendigeres und somit teureres) eigenes System erfinden.

Insbesondere in der Informationstechnologie, die bekanntermassen in kurzer Zeit immer wieder grossen Veraenderungen unterworfen ist, stellen Softwarepatente eine nicht zu unterschaetzende Bedrohung fuer kleine Unternehmen und selbstaendige Programmierer dar. Wenn Algorithmen (wie bspw. die aus dem Mathematikunterricht bekannte Mitternachtsformel) von einem Unternehmen patentiert wuerde, muss jemand der eine aehnliche Aufgabe loesen will, einen eigenen, anderen Algorithmus finden, der ebenfalls zum richtigen Ergebnis fuehrt – oder Lizenzgebuehren bezahlen.

Technologische Neuerungen, bedingen aber auch, dass sich die Anbieter auf dem Markt an den aktuellen Gegebenheiten, Trends und den Wuenschen der Anwender orientieren, was ihnen aber nicht moeglich ist, wenn die Realisierung durch Patente verbaut wird. In den USA ist es bereits heute schon so, dass die grossen Konzerne mit ihren Patenten taktieren, um kleineren Konkurrenten den Zugang zum Markt zu verbauen. Umgekehrt sind kleine Unternehmen aber oftmals aus finanziellen Gruenden nicht in der Lage ihre eigenen 'Erfindungen' – oder in diesem Fall wohl eher Loesungswege – durch Patente zu schuetzen.

Praktisch jedes hinreichend komplexe Computerprogramm verletzt heutzutage eines oder mehrere Patente und "Programmierer in den USA leben gefaehrlich", so Richard Stallman, Praesident der Free Software Foundation. Denn die Gefahr lauert praktisch hinter jeder Code-Zeile, die ein Programmierer eingibt, weil sie unter Umstaenden ein Patent verletzt. Da aber Programmierer nicht jeden Codeabschnitt von einem Anwalt auf die potentielle Verletzung von Rechten Dritter pruefen koennen, stehen sie (in den USA) mit einem Bein im Knast. Ein gaengiger Witz unter Programmierern lautet:

In der IT-Branche fehlen 1.000.000 Fachkraefte. 100 Programmierer und 999.900 Rechtsanwaelte.

Fakt ist dass das Europaeische Patentamt mittlerweile ueber 30.000 Softwarepatente erteilt hat und dadurch fuer viele Unternehmen eine existentielle Rechtsunsicherheit herbeigefuehrt wird und eine Verschaerfung dieser Praxis zehntausende Arbeitsplaetze in der IT-Industrie kosten kann.

Auf EU Ebene werden diesbezueglich immer schwammigere Verordnungen produziert und der Widerstand gegen Softwarepatente formiert sich seit Jahren auf unterschiedlichen Ebenen. Mit der Verleihung des nosoftwarepatents-award 2006 bspw. wollen die Unternehmen darauf aufmerksam machen, dass europaeische Patentaemter seit den 80er Jahren tausende von Softwarepatenten erteilt haben und ein Ende dieser Patentierungspraxis nicht in Sicht ist.
Einige bereits bestehende Softwarepatente (wie das beliebte 'Kontextmenue', oder 'e-Mails mit Anhang versenden') stehen auch dieses Jahr wieder zur Wahl zum 'Softwarepatent des Jahres' (der Link fuehrt den geneigten Leser direkt zur Abstimmung). Hierbei soll das absurdeste Patent ausgezeichnet werden. Oder kann sich der Leser ein (nicht triviales) Programm vorstellen, das heute noch ohne Kontextmenue auskommt? Oder ein e-Mail-Programm, das keine Anhaenge verarbeiten kann?

Auch der Bundesverband mittelstaendischer Wirtschaft" unterhaelt gemeinsam mit dem Berufsverband Selbstaendige in der Informatik e.V. eine Webseite auf der Informationen zum Thema bereitgestellt werden.

Eine umfangreiche Linkliste zur Rechtssprechung und aktuellen Entwicklung hierzu findet der Leser auf heise.
Weitere Informationen auch unter Keine Softwarepatente

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