Die Vielfalt zeigt Kultur

Ein G8-Gipfel ist längst nicht mehr nur ein Treffen der Chefs. Die Zeit vor den Cheftagen ist klassischerweise die Zeit der Demonstranten. Natürlich, auch während der großen Runde und hinterher wird demonstriert und kundgegeben, aber die Aufmerksamkeit der Berichterstatter gegenüber den Demonstranten ist ungeteilter, solange noch nicht über Verhandlungsergebnisse diskutiert werden kann. Das Forum der Demonstranten, ihr Sprachrohr, ihre Möglichkeit Statements zu platzieren, findet vornehmlich vorher statt – und ist damit eigentlich genau jetzt vorbei.

Doch gleichzeitig mit der Ankunft der erwarteten Staats- und Regierungschefs gelingt ihren Kritikern ein Gemeinschaftsstreich. Demonstranten, die ad hoc aber nicht hektisch die Polizei überraschen, die Infrastruktur lahm legen, Journalisten blockieren und zerstreut aber irgendwie gemeinsam nun doch zum Zaun vordringen, ihrem Anti-Symbol, was angesichts des vielmals angekündigten Gewaltverzichts als unmöglich galt, das ist wie ich finde ein klares Zeichen von Demonstrationskultur. Man versprach Gewaltlosigkeit, aber nicht zivilen Gehorsam. Und nun scheint man Taten folgen zu lassen. Wie die Sache sich weiterentwickelt bleibt natürlich abzuwarten. Die Gefahr der totalen Eskalation war zeitweise wohl nie größer als heute. Und ob es vor Ort nicht doch zu Gewalttätigkeiten kam, weiß man wohl nur als Teilnehmer.

Gemeinschaftsstreich ohne radikale Mittel

Aber: Einen Tag nach Ankunft von US-Präsident Bush geben sich die Beteiligten jedenfalls ein Gesicht – Mit aufreizenden Aktionsformen bar radikaler Mittel. Die Medien haben nun von mehr zu berichten, als dem gewaltbereiten Block und der durchgeplanten, überwachten Demonstration. Genau das war aus meiner Sicht bislang das Bild vom Gipfel (vor dem Gipfel): Einerseits gewaltfreie Demonstrationszüge von denen man im Grunde nicht mehr erfuhr, als dass sie eben demonstrierten, und andererseits Ausschreitungen. Und mit diesem Bild schien die Protestbewegung wiedereinmal ungewollt vorliebnehmen zu müssen. Auch wenn sie sich in der Breite friedlich zeigt und sich Organisationen und Gruppen von den Krawallen distanzieren, über ihre Botschaften wird nicht diskutiert.

Die Heterogenität der G8-Kritik

Sicherlich auch deshalb, weil diese Inhalte noch immer unüberschaubar heterogen sind. Nach eigenen Aussagen der Organisatoren wurde in diesen Tagen die Mobilisierung von Gruppen bis weit in die Mitte der Gesellschaft erreicht. Von DER Linken zu sprechen, die in Heiligendamm zusammenkommt, trifft die Sache einfach nicht. Zumal sich bspw. die vertretenen christlichen Vereinigungen nicht als links interpretieren. Vor zwei Wochen klagte ein ehemaliger Attac-Aktivist in der "Außenansicht" der SZ umgekehrt die Medien an, dass diese ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf Ausschreitungen fokussierten. Damit beraube man wiederum die grundsätzlich friedlich gesinnten Demonstranten ihrer Chance, die Inhalte ihrer Kritik zu vermitteln (hier nachzulesen). Ob es nun an der Öffentlichkeit oder an der fehlenden Formulierbarkeit ihrer Botschaften lag – Außer dem gemeinschaftlichen Dagegensein konnten die Demonstranten in meinen Augen bislang einfach nicht viel vermitteln.

Neue Konturen

Doch jetzt folgen dem gemeinsamen Nenner aller G8-Kritiker – der wie der Spiegel kürzlich meinte grundsätzlich schlicht auf der gemeinsamen Ablehnung der G8- und Globalisierungsstruktur beruht (Der Spiegel vom 21.05.2007, S. 168-171) – weitere Konturen der so heterogenen Gruppierungen. Erst Ende der 90er Jahre habe die Linke demnach ein kollektiv geteiltes Motiv zur Zusammenkunft bekommen, was sie nun bei jedem G8-Treffen auslebt.

Und nun zeigt man sich aktiv und ungehorsam und zugleich so organisiert, dass man im absoluten Zentrum der Berichterstattung steht. Nicht die durchgeplante Demo abgeschottet von der Polizei, auch nicht die brutale Straßenschlacht ist die Message, sondern die Fähigkeit zur kollektiven, unerwarteten Aktion. Die tausende Demonstranten umfassende Truppe beweist damit, dass ihre Heterogenität allein sie nicht mehr daran hindert, etwas zu vermitteln.

Welche alternative Ideen die Globalisierungsgegner zur Verteilung von Entwicklungshilfe aufbringen oder welche Argumente sie gegen hochspekulative Hedge-Fonds entwickeln kann freilich nach wie vor nicht Botschaft einer so bunten Szene sein. Aber man zeigt Profil, und das ist eben auch eine Botschaft.

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