Die Negation des Negativen

Wenn doch die Sprache so einfach wäre wie die Mathematik! Dort ist Minus das Gegenteil von Plus – und zweimal Minus ergibt wiederum Plus. Nicht so im sprachlichen Bereich. Ein «schöner Mann» gefällt den Damen – zweifellos. Auch wenn sich ein Leser unter solchen Allerweltsadjektiven noch nichts Konkretes vorstellen kann. Aber ist ein «unschöner Mann» deswegen unweigerlich eine Vogelscheuche? Oder ist vielleicht die Sachlage in Wirklichkeit noch viel schlimmer? Wie beim «unschönen Vorgang», wo das Negativum im Widerspruch zum Wortlaut geradezu «schönfärberisch» wirkt, weil dieser Euphemismus einen besonders brutalen oder verdammenswerten Vorgang sprachlich mildert und dem Gesprächspartner sachte die Luft aus den Reifen lässt: „Zweifellos haben Sie ja recht, dies ist ein unschöner Vorgang, Herr Kollege, ABER …".  

Kurzum: Ein Ausdruck ist mit der Negation seines Gegenbegriffs niemals gleichbedeutend, die Sprache nuanciert den Sinn immer, auch und gerade im Falle der Negation. Rhetorisch gesehen ist die Flucht in die Verneinung sogar die Einleitung einer Ausflucht. Und dementsprechend beliebt vor allem im advokatischen Bereich, aber auch anderswo. Wer bspw. im Blogbereich bei einem «Flame-War» nach der Hintertür sucht, der darf grammatisch die Anwendung der Negation durchaus ins Kalkül ziehen: «Wenn ich nicht solch ein friedlicher Mensch wäre …»

Vollends kompliziert wird es im Falle der «Litotes», der doppelten Verneinung, die eben nicht schlicht mit einer Bejahung gleichzusetzen ist. «Es gibt kein Zurück» mag ja tatsächlich noch mit dem gedachten «Also vorwärts!» annähernd harmonieren. Aber auch Stillstand wäre als logische Alternativfolgerung durchaus möglich. Auch klingt Alltagssprachliches – «Keine Feier ohne Meier» – im litotischen Gewand manchmal tresentauglicher als die positivere Formulierung, die das Unvermeidliche an Meier herausstellen würde: «Jede Feier nur mit Meier».

Um die Sachlage noch mehr zu verwirren: Insbesondere die Umgangssprache kennt zusätzlich eine Fülle von doppelten Verneinungen, die nicht dieser logischen Doppelumkehr der Verhältnisse dienen, sondern einfach nur zur Verstärkung einer einfachen Verneinung dienen: «Dös glaubt mir ja kein Mensch nicht!». Oder in witziger Form, weil hier die doppelte Verneinung die hakenschlagende Denkstruktur eines bestimmten Menschentypus glossiert: «Klar bin ich Paranoiker. Das beweist aber noch nicht, dass sie nicht hinter mir her wären!». Aber diese schönen Beispiele, wo die doppelte Verneinung einer Verstärkung der einfachen dient, sind – nichts für ungut! – die Ausnahmen.       

«Es gibt ein Bedürfnis der Schreibenden», heißt es bei Dieter E. Zimmer, «Einfaches so zu sagen, dass es sich nicht mehr einfach anhört». Doppelte Negationen sind immer dann schlecht, wenn sie die Lesearbeit für denjenigen erhöhen, der diese semantischen Flipflops lesen und dechiffrieren muss: «Mit unserer unbeabsichtigten Nichtäußerung haben wir keineswegs Desinformation betreiben wollen». Wie meinen? Das ist ein mindestens dreifacher Tulup auf semantische Art. Vor lauter Negation sind solche Sätze kaum noch zu verstehen – und sie sollen oft genug auch gar nicht mehr verstanden werden. Trotzdem erfüllen sie eine Funktion durch den Mechanismus, den Dieter Zimmer oben beschrieb. Weil wir nämlich getrost davon ausgehen dürfen, dass derjenige, der ständig ins Dickicht seiner Negationen abtaucht, uns in die Irre führen und seine wahren Absichten verschleiern will: «Ich bin der Geist, der stets verneint», sagt nicht umsonst Goethes Mephisto. Wer also einen unsympathischen oder auch nur dämonischen Menschen zeichnen will, der soll ihn in Negationen und Paradoxien sprechen lassen. Für einen Betrüger ist das ein bewährtes Stilmittel.

In diesem Text ist nichts von allem Gesagten so richtig unfalsch – denn bekanntlich gilt die doppelte Negation: «Keine Regel ohne Ausnahme». Dies ist abschließend ein Fall, wo sich die doppelte Negation selbst ins Knie schießt. Denn natürlich verfällt auch diese Regel ihrem eigenen Gesetz: Jene zunächst plausible Regel, wonach es keine Regel ohne Ausnahme geben könne, muss notwendigerweise eine Ausnahme zulassen, weil sie sonst keine Regel wäre, die dem genannten Gesetz gehorcht. So weit kann's mit uns kommen, wenn wir uns in Negationen verlieren, statt einfach mal zu akzeptieren, dass unsere Sprache kein sonderlich logisches Instrument ist, sondern «man bloß» der Verständigung dient …

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7 Meinungen

  1. Danke fuer den schoen geschriebenen Artikel, der zwar nichts wirklich Neues an Erkenntnissen liefert aber eben darauf hinweist, dass Sprache eben nicht logischen Strukturen folgt, sondern Semantischen. Dies ist die Crux der KI-forscher (KI=kuenstliche Intelligenz) die seit dreissig Jahren versuchen, die Semantik in logische Paeckchen aufzudroeseln und so dem Computer ein Verstaendnis der menschlichen Sprache unterjubeln wollen..Womit sie latuernich nicht nur Miss-Erfolge ernten, sondern darueber hinaus auch noch die Un-Faehigkeit des Menschen, sich selbst zu definieren und zu verstehen in nicht geringem Masse hervorheben.-m*sh-

  2. Die Sprache ist so wie der Mensch – zutiefst unlogisch, aber unglaublich nuancenreich, sehr gefühlsbetont, vom Wollen getrieben (nicht von der Vernunft), und manchmal aus heiterem Himmel uns treffend wie ein Blitz.;-)

  3. Litotes? Da sag ich nur: Ich bin nicht unzuversichtlich, dass sich noch mancher blamieren wird. Zum Glück gibts aber auch noch den elativen Litotes. Ein Beispiel: «Gehen wir ein Bier triniken?» – «Tja, das wäre auch nicht ganz falsch».;-)

  4. Bei euch Schweizern musste natürlich die doppelte Verneinung ihre zweite Heimat finden. Weil ihr euch seit des seligen Gottfried Kellers Zeiten ein Idiom spießbürgerlicher «Fähnleinhaftigkeit» bewahrt habt, dem eine wohlgefällige Behäbigkeit, verbunden mit bürokratischer Umstandsmacherei, nun mal nicht ganz abzusprechen ist,

  5. Ach, du bist doch nur neidisch, dass UNSER Walser so wunderbar ungegenständlich übers Nichts meditieren kann ;-)Die Fähnleinhaftigkeit leuchtet mir aber nicht ein. Die Schweizer Alltags- oder Kulturprosa, die ich schätze, verzichtet gerade auf dieses Beschwören. Dafür hat sie sehr wohl diese «Behäbigkeit», neudeutsch: Geerdetheit, die unter gewissen Umständen nicht zwingend als völlig daneben betrachtet werden kann. Denn Schweizer, die sich mit einer vermeintlichen deutschen Schnauze gerieren, ernten meist nur Lacher.

  6. Da hast du auch in meinen Augen recht: EUER Walser raucht UNSEREN Walser in der Pfeife. Zwar kann der Mann vom Bodensee über das blanke Nichts ebenfalls endlos meditieren, er langweilt aber dabei. Das ist sein Fehler.Meine Urteile über das Schweizerdeutsch mögen durch ein Übermaß an NZZ-Lektüre zustandegekommen sein. Immer dann, wenn ich meinen Bruder in Basel besuche. Der liest dieses «Weltblatt» nämlich. Vom gesprochenen Schwyzerdütsch dagegen verstehe ich so gut wie gar nüscht – oder meist nur Gezwitscher …

  7. Nette Unterhaltung. Danke. Eine Kleinigkeit möchte ich noch erwähnen: „Bereiche“ sind meistens überflüssig und hässlich. „im sprachlichen Bereich“, „im advokatischen Bereich“, „im Blogbereich“ — da kriegt man ja nicht keine Gänsehaut :oD Wie wär’s mit: „in der Sprache“, „unter Advokaten“, „in Blogs“?Gruß aus KarlsruheMarcel Saft

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