CSD macht mobil – alles anders in 2008

Alle Besucher, die von Anfang dabei sein wollen, müssen in diesem Jahr gen Osten reisen (Achtung, Wagnis, liebe Schöneberger), in die alte Mitte Berlins sozusagen, zur Schloßbrücke. Da gehts mittags los. So muss man(n) dann schon früh die Stöckelschühchen der Belastung eines Gangs quer herüber vom Hackeschen Markt (S-Bahn) oder längs vom Alexanderplatz (U- und S-Bahn) aussetzen. Grund ist zu allererst die Fanmeile auf der Strasse des 17. Juni, die zwar am Sonnabend nicht geöffnet wird (es ist nämlich spielfrei, Ihr ignoranten Nicht-Fussball-Versteher), wohl aber nicht so schnell abgeräumt und am Finaltag (dem Sonntag, herrje) wieder aufgebaut werden kann. Also muss diesmal andersrum (ha, Wortspiel) demonstriert werden und wer es mitmachen will (was die Organisatoren heute schon erflehen), braucht langen Atem und Waden wie Schweini (das ist der Spitzname eines deutschen Fussballspielers, Schätzchen).
Der Weg soll und wird lohnen, sagen die Veranstalter. Der CSD-Verein setzt in diesem Jahr nämlich auf ein ganzes Dutzend politischer und anderer Botschaften und läßt deshalb auch keine Botschaft aus. (Noch ein Wortspiel! Uff.)
An der russischen Vertretung Unter den Linden darf nicht nur der sehr nett anzusehenden, aber letztlich gescheiterten Fussball-Profis um Andrey Arschawin bei der EM gedacht werden, sondern bitte sehr eher der Schwulen und Lesben im angeblich lupenrein demokratisch regierten Russland von heute, die offen angefeindet, ausgeschlossen und bedroht werden. Regenbogenflagge hoch für Solidarität, bitte!
Am Neubau der US-amerikanischen Botschaft in der Behrensstraße darf schon mal nach einer neuen Politik unter einem möglichen Präsidenten Barack Obama gerufen werden. Der zeigt bislang übrigens keine Lust auf eine neue, andere Politik gegenüber Homosexuellen, zum Beispiel zur Frage der Ablehnung Schwuler in der US-Army. Da ist Barack noch ganz George W. Fähnchen hoch auch hier – yes, we can!
Am nagelneuen, sehr würdigen Mahnmal für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus im Tiergarten gehts dann ebenso vorbei, wie viiiel später auch noch an der CDU-Zentrale. Diesen Ort könnte MANN und FRAU zur fröhlichen Anregung an die Merkel-Partei nutzen, dass eingetragene Lebens-Partnerschaften ja noch lange nicht mit der Ehe zwischen Frau und Mann gleich gestellt sind. Und da geht es nicht nur um die Steuer… Hier bedarf es politischer Durchbrüche und manch neuen Gedankens in den Köpfen der Gesellschaft, sprich: vieler Bürger. Dass die allerdings oft weiter sind, als die Politik, zeigt das Beispiel Schweiz. Im Alpenländle stimmten die Eidgenossen gerade erst mehrheitlich für eine Gleichstellung von Lebenspartnerschaften von Homosexuellen mit der Ehe zwischen Heterosexuellen.
Hier können wir alle mehr – schließlich sind auch wir Deutschland!
Überhaupt ist der gesamte CSD in diesem Jahr sehr fragend und auffordernd. Das Motto: "Hass´ Du was dagegen?" versteht wahrscheinlich nicht jeder, schon gar nicht mit dem törichten Anhängsel "Einfach Liebe". Aber die Frage provoziert geradezu die Diskussion:
-über noch immer fehlende Anerkennung von Schwulen, Lesben und Transidenten
-über die wieder steigende Zahl von Gewaltdelikten gegen Homosexuelle
-über die längst vergessen geglaubte Probleme junger Leute an Schulen, wenn sie sich outen und spüren müssen, dass "schwul" auf dem Schulhof das angesagteste Schimpfwort ist.
Aber die Frage meint auch die Homos selbst. Sie ist mutig, denn sie bedeutet ein Eingeständnis. Auch unter den ach so toleranten und Toleranz einfordernden Regenbogengängern gibt es Vorurteile, Ablehnung und offene Diskriminierung gegenüber anderen Regenbogengängern – etwa von Muslimen, Alten und Menschen mit HIV. Das Motto spricht so auch die Haltung von Homos zu Homos an – ein historisches Novum, das im Diskobeat der Star-DJ´s auf den 47 Wagen nicht untergehen sollte.
Mehrere Hunderttausend möchten wohl kommen und am Ende der Demo gegen 18 Uhr an der Siegessäule feiern und großen Bands zujubeln – zum Beispiel den Jungs von "The Bosshoss" mit ihrem Country-Sound oder der "Übermutter", wie Lucy van Orgs neues Projekt heisst.
Also: alles irgendwie anders und doch wie in jedem Jahr. Spaß, Ernst, hoffentlich Sonne und Wärme (angesagt: wechselnd bewölkt, Sonne, 23 Grad)und jawohl – das gute CSD-Gefühl, dank auch einiger Schlucke lauwarmen Sekts. Manche Dinge ändern sich eben nie!

Schreiben Sie Ihre Meinung

Ihre Email-Adresse wird Mehrere Felder wurden markiert *

*