Auktionsportale für Patienten: Ärzte unterm Hammer

Als ich neulich im Internet über das Online-Portal Arzt-Preisvergleich.de las, fühlte ich mich in meiner Theorie bestätigt, dass sich die Medizinlandschaft verändert. Früher ist man immer zum gleichen Arzt gegangen. Die Mutter ist mit den Kindern hin, die haben später ihre Kleinen mitgebracht. Die Frage, ob der Arzt gut oder weniger gut ist, hat sich meist nicht gestellt. Es war der Hausarzt. Basta! Genauso war es mit der Bank. Man blieb ihr jahrzehntelang treu, nur weil die einem zur Geburt ein Sparbuch mit 5,- DM Guthaben geschenkt hat. Doch diese selbstverständliche Treue gehört der Vergangenheit an. Auch der gute alte Hausarzt oder Facharzt um die Ecke sollte nicht zu sehr auf die Loyalität seiner Patienten bauen. In Zeiten wachsender Zuzahlungen und immer größerer Angebote im Bereich Individualmedizin wird die gute alte Arztpraxis zum Profit Center, die Medizin selbst zur Dienstleistung. Diese Sichtweise schließt Preisvergleiche ein. Wer etwa ein Zahnbleaching durchführen lassen möchte, der holt sich immer öfter mehrere Angebote ein. Gleiches gilt für das Augenlasern, die Physiotherapie und andere medizinische Leistungen. Ob wir wollen oder nicht, Medizin wird immer mehr zum Business. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch online Services angeboten werden, die beispielsweise eine Plattform für individuelle Kostenschätzungen bieten.

Bleibt hier nicht die Qualität auf der Strecke? Das werden jetzt vermutlich einige Leser fragen. Der TÜV Saarland hat das oben erwähnte Portal in Bezug auf Kundenzufriedenheit und Servicequalität getestet und interessanterweise für "sehr gut" befunden. Entwickeln sich deutsche Patienten nun zu Schnäppchenjägern? Scheint so. Mehr noch. Der deutsche Patienten sieht sich mittlerweile global nach Medizin-Services um, wie Focus Anfang Juli unter dem Titel "Zähne, Augen, Schönheit: Ich habe mich im Ausland behandeln lassen …!" berichtet. Patienten erzählen von guten, aber auch schlechten Erfahrungen. Es ist längst kein Geheimtipp mehr, dass man beispielsweise in Ungarn schöne Zähne zu einem guten Preis bekommen kann. Manches klingt jedoch abenteuerlich und erstaunlich zugleich. So berichtet eine Münchnerin, dass sie sich im Iran einer Augenoperation unterzogen hat, damit sie keine Brille mehr tragen muss. Eine OP bei den Mullahs? Niemals, werden sicher einige Menschen sagen. Die Patientin jedoch war mit dem knapp 1000 Euro teuren Eingriff sehr zufrieden. 40 Prozent soll sie auch noch eingespart haben. Schönheitsoperationen in Brasilien oder Südafrika kann man noch verstehen. Aber eine Chemotherapie in Thailand? Klingt verrückt, aber die deutsche Krankenkasse hat mitgemacht. Der Patient durfte nach der Tortur noch ein paar Tage am Strand verbringen. Operation uner Palmen – nichts wie hin? Von wegen, denn an Behandlungsflops mangelt es auch nicht. So berichtet ein junger Mann von einer Laserbehandlung in der Türkei, die ihn fast blind gemacht hat. Eine Dame aus Potsdam hatte Pech mit einer Brust-OP in Tschechien. Ihr wurden bereits verwendete Implantate eingesetzt. Dieses verachtenswerte Brust-Recyling löste natürlich eine Entzündung aus. In Deutschland konnte man ihr zum Glück helfen. Diese nicht repräsentativen Beispiele zeigen, dass man im Ausland gut behandelt werden kann. Es lauern aber auch Gefahren. Doch auch hierzulande können Risiken und Nebenwirkungen ebenfalls nicht ganz ausgeschlossen werden.

Berichte und Meldungen dieser Art lösen bei mir verschiedene Gefühle aus. Fakt ist, dass viele Menschen die Medizin-Preise in Deutschland kaum mehr bezahlen können. Die Kassen-Zuschüsse fallen auch immer geringer aus. Und bevor Patienten beispielsweise mit marodem Gebiss oder uralten Brillen herumlaufen, suchen sie ihr Heil im preiswerten Ausland. Doch wenn ich sehe, dass auch gut Situierte ins Ausland "flüchten", dann werde ich sauer. Wie soll eine Volkswirtschaft funktionieren, wenn niemand mehr im Land konsumiert bzw. Dienstleistungen in Anspruch nimmt? Oder müssen wir uns in einer globalisierten Zeit daran gewöhnen, dass man künftig in Land A lebt, bevorzugt in Land B einkauft, seine Steuern in Land C bezahlt und in Land D und E zum Arzt geht? Ist dieser Medizintourismus überhaupt klimaverträglich? Was tun ökobewegte Menschen? Geht es hier überhaupt um political/social correctness, "vaterlandslose Gesellen" oder ökonomischen Druck oder wird die Medizin zu einer global handelbaren "Ware"? Fragen über Fragen …  

5 Meinungen

  1. meine kollegin hat eine gepfefferte zahnäztliche behandlung hinter sich (fiese zysten, kiefer anbohren, zähne ziehen, kronen kriegen – das „rundumschmerzen-paket“). für diese sache zahlt sie jetzt eine rechnung von um die 9.000 euro ab. bei einer vollen stelle in der krankenpflege (intensivstation, drei schichten etc.) arbeitet sie also nebenbei noch in der ambulanten pflege. wann diese frau mal freie zeit hat – das ist mir ein rätsel. trotzdem weiß ich nicht, ob das so´ne gute idee gewesen wäre, diesen kompakt-horror im ausland durchführen zu lassen. von den flugkosten mal abgesehen. da kommt dann am ende evtl. die gleiche summe raus… ich weiß es nicht.

  2. @kathe: Wenn ich generell Horror vor dem Zahnarzt habe, dann ist so ein umfangreicher Auslands-Zahnarztbesuch aber so richtig Horror!@all: Generell vermute ich schon, dass bei vermehrtem Preisvergleich zunächst die Qualität sinken könnte. So schlimm sich dies auch anhört; aber die Götter in Weiß müssen sich vielleicht an den Gedanken gewöhnen, dass sie Jahrzehnte lang überbezahlt wurden.

  3. Da gebe ich Charles Recht. Ich denke auch, dass die wirklich guten Zahnärzte sowieso „ausgebucht“ sind und nur die weniger augebuchten ihre Lücken mit einer Versteigerung füllen müssen. Das derTÜV bei seiner Prüfung ein „sehr gut“ vergab verwundert dann doch. Vielleicht wäre es ein Fortschritt, solche „Ärzte-Ebay-Portale“ zusammen mit einem der neuen Arztempfehlungsportale (z.B. http://www.patienten-empfehlen.aerzte.de) anzubieten. Dann wird sich wahrscheinlich schnell die Spreu vom Weizen trennen.

  4. Websites mit entsprechender Empfehlungsfunktion haben einen großen Nachteil – sie lassen sich leicht manipulieren. Bei Amazon z.B. haben Autoren die Bücher anderer Kollegen mit Absicht schlecht rezensiert. Ein anderes Beispiel sind Hotelwebsites. Dort haben Hotelbetreiber ihren eigenen Betrieb in den höchsten Tönen gelobt, jedoch Mitbewerber nieder geschrieben. Auch bei Ärztewebsites kann nicht ausgeschlossen werden, dass entsprechende Freundschafts- bzw. Feindschaftsdienste geleistet werden. Ein, wie ich finde, höchst unfaires Verhalten. Doch wo kein Kläger, da kein Richter. Wie auch immer, Online-Empfehlungen können eine grobe Orientierung bieten, doch sollte man auch hier wachsam bleiben. Schließlich handelt es sich um Tipps von Fremden. Man weiß nichts über deren Kompetenz oder Motivation. Eine gesunde Portion Skepsis ist deshalb sicher nicht verkehrt.

  5. Die einzelne Empfehlung ist sicherlich mit Vorsicht zu genießen. Wenn aber viele von uns Ihre Empfehlungen abgeben, entsteht ein Bild vom jeweiligen Arzt, auf das man sich schon besser verlassen kann. – Und die Ärzte merken, dass ihre Kunden … äh – Patienten durchaus eine ernst zu nehmende Meinung haben.

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